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  Die Geschichte von dem kleinen naseweisen Mädchen ( 1 )
  Dem Mathildchen ward die Zeit bis zum Weihnachtsabend gar zu lang; es hatte nirgends mehr Ruhe und Rast, nur so lange die Tante erzählte, blieb es ruhig auf seinem Stühlchen sitzen. Wo eine Schublade oder eine Schranktüre aufgemacht wurde, hatte es blitzschnell den kleinen Blondkopf dazwischen und lauschend und horchend stand es hinter allen Stubentüren. Es knisterte und rumorte aber auch gar verführerisch im Hause herum und für die Nase gab es jeden Augenblick ein neues Bedenken. Bald roch es so süß und gewürzreich, dann wieder nach feuchtem Moos und Tannenharz, oder auch nach ausgeblasenen Wachskerzen. Mir einem Wort, das ganze Haus war erfüllt mit dem wunderbaren, unbeschreiblichen Weihnachtsgeruch, dem zu Liebe die Kinder sich gerne eine Stunde früher als gewöhnlich zu Bette schicken lassen und der ihnen den kleinen Kopf schon im Voraus ganz toll und wirblicht macht. So ging es auch dem Matildchen und jeden Augenblick musste es sich bald von der Mama, bald von der Tante zurufen lassen: "Den Kopf hinweg, oder das Christkindchen bläst dir die Augen aus!"
  Endlich ward es Abend und sie saßen wieder bei der Tante, da fragte Matildchen: "Liebe Tante, wie ist denn das mit dem Christkindchen, bläst es den Kindern wirklich die Augen aus?"
  "Ja, freilich", sagte die Tante, "wenn sie neugierig sind und sich nicht warnen lassen, denn sie können ja lieb sein und warten bis es Zeit zum Gucken ist."
  "Tante", antwortete Mathildchen kleinlaut, "ich war heute so ein ganz klein wenig neugierig und habe in Mama's Schrank gesehen und - und - ich will aber jetzt nicht mehr hinsehen."
  "Das ist brav, und nun will ich Euch eine Geschichte erzählen, von einem kleinen Mädchen, das auch ein wenig naseweis war, aber nicht sehr viel, gerade so wie du, dem ist es sonderbar mit dem Christkindchen gegangen. Das Merkwürdigste an der Geschichte aber ist, dass das kleine Mädchen auch Mathildchen heißt. Nun, soll ich anfangen?"
  "Ach ja, liebe Tante!"
  "Ich habe Euch doch schon früher erzählt, dass der Nikolaus um die Weihnachtszeit des Abends ein großes Feuer auf der Böllsteinerhöhe anzündet. die Leute, die um den Odenwald herum wohnen, sehen das Feuer, das sich freilich vom Weiten nur wie ein großer Stern ausnimmt. Wenn sich nun die Kinder zu Bett legen, dann laufen sie noch vorher an das Fenster, heben den Vorhang auf, sehen hinauf nach dem Christkindfeuer und träumen dann die ganze Nacht von den schönen Sachen, die es ihnen bringen wird. Wer aber neugierig ist und zu lange hinschaut, der sieht auf einmal gar nichts mehr und wenn endlich die Mama ruft: "Geschwind, in's Bett hinein!" können sie es kaum noch finden. Am andern Morgen sehen sie zwar wieder, aber sie müssen doch noch sehr blinzeln und hüten sich wohl am andern Abend wieder in das Christkindfeuer zu gucken.
  Der kleinen Mathilde aber, von der ich euch nun erzählen will, ist es noch sonderbarer ergangen. Sie war sehr geschickt und lieb und folgsam, nur ein klein wenig naseweis, und wenn sie des Abends ins Bett sollte, konnte man sie kaum von dem Fenster wegbringen, weil sie immer wieder das Christkindfeuer sehen wollte. Lag sie dann unter der warmen Decke, so dachte sie immer noch an das Feuer und stellte sich vor, wie schön es da oben auf der Höhe bei dem Christkind sein müsse.
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  Luise Büchner 1821 - 1877
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