Die Geschichte von dem kleinen naseweisen Mädchen ( 4 )
Ich will auch gar nichts mehr hier ansehen, sondern gleich wieder
nach Hause laufen, zeige mir den Weg."
"Wie kommst du aber so spät und ganz allein in den Wald?" fragte
das Christkind weiter.
Da hing Mathildchen beschämt den Kopf auf die Schulter und sagte
weinerlich: "Liebes Christkind, verzeihe mir, ich war wirklich ein wenig
neugierig, darum lief ich aus meinem warmen Bett hinauf auf den kleinen Berg
hinter unserm Garten, aber dann wollte ich wieder nach Hause und habe mich
verirrt."
"Es ist doch ein naseweises Ding!" knurrte der Nikolaus, "des
Nachts bleibt man in seinem Bett und läuft nicht heraus. Wie gern steckte
ich mich in die Federn, wenn ich nicht für das Kindervolk die ganze Nacht
arbeiten müsste."
Mathildchen schmiegte sich zitternd an Christkindchen, das aber lachte nur
wieder und sprach: "Er ist nicht so böse, als er sich stellt;
fürchte dich nicht. Es war freilich recht unartig und naseweis von Dir,
dass Du aus dem Bett gelaufen bist, aber nachher bist Du ohne Deine Schuld
herauf gekommen, das weiß ich und weil du sonst ein braves, folgsames
Kind bist, so will ich Dir verzeihen und Dir für die ausgestandene Angst
meine schönen Sachen zeigen, und du magst Dir davon auswählen, was
Dir gefällt!"
Damit fasste das Christkindlein Mathildchen bei der Hand, um es im Kreis
herumzuführen. Als der Nikolaus sah, dass er nichts ausrichten konnte,
wollte er wenigstens sein Späßchen haben. Er griff in seinen
großen Sack, nahm eine Hand voll Nüsse und Äpfel heraus und -
bums kollerte er sie dem Mathildchen zwischen die Füße, dass es vor
Schrecken laut aufschrie und in eiligen Sätzen herüber und
hinüber sprang. Dann bückte es sich schnell und sammelte die
Nüsse und Äpfel in sein Schürzchen. Christkindchen freute sich
über Mathildchens Sprünge und auch der Nikolaus lachte in seinen
langen Bart hinein, es lautete aber so sonderbar, dass man wirklich nicht recht
wusste, ob er zanke oder vergnügt sei.
Vergnügt gingen die Beiden weiter, wie soll ich es Euch aber beschreiben,
was Mathildchen nun für Herrlichkeiten sah. Alle die himmelhohen Tannen
und Fichten, die den freien Platz umstanden, waren von oben bis unten mit den
schönsten Kinderspielsachen behängt. Da hingen Puppen in roten,
grünen, blauen und weißen Kleidern, mit Federhüten auf dem
Kopfe, unter denen blonde oder schwarze Locken herauskamen. Andere Puppen
hatten offene, lange Haare fast wie der Struwwelpeter und warteten nur darauf,
dass die kleinen, lieben Mädchen, zu denen sie kommen sollten, ihnen die
Haare ringelten oder flechten würden. Diese hatten auch gar nichts weiter
an als schneeweiße Hemdchen, aber sie standen in einem großen
Kasten, in dem lag rings um sie herum ihre ganze Ausstattung. Da waren
gestickte Unterröcke und Beinkleider, weiße Schlafhemden und
zierliche Nachthäubchen, alle möglichen Kleider von Seide, Wolle und
Musselin, dazu schöne Kragen, Mäntel, Schals, Hüte, Handschuhe,
Stiefelchen und Sonnenschirme - man brauchte nur zuzugreifen. Es war ein Staat
gerade wie für eine große Mama, oder eine erwachsenen Tante.
Für die kleinen Knaben war aber auch gesorgt, da hingen zahllose Wagen und
Pferde, Kanonen und Bleisoldaten, Säbel, Trommeln und Flinten.
________________
Luise Büchner 1821 - 1877
________________
Weihnachten.mobi ist eine Textsammlung.
Aktueller Seitenbereich: Weihnachtsmärchen - Die Geschichte von dem kleinen naseweisen Mädchen
________________
copyright by Camo & Pfeiffer