Die Geschichte von dem kleinen naseweisen Mädchen ( 2 )
Eines Abends nun schien ihr das Feuer viel größer und heller als
gewöhnlich zu sein; es sah gar nicht mehr wie ein Stern, sonder wie der
Mond, wenn er im Herbst ganz groß und feurig über dem Rand der Berge
auftaucht. Mathildchen legte sich zu Bett, nachdem sie lange in das Feuer
gesehen, aber sie konnte nicht einschlafen und dachte immer wieder daran, wie
es jetzt wohl oben auf dem Böllstein aussehen möge. Sie hielt es
nicht mehr aus, stand leise auf, zog ihr Strümpfe, Schuhe und Kleider
wieder an und schlich sich unbemerkt hinaus vor die Türe, um das Feuer von
da noch besser zu sehen. Ach, dachte sie auf einmal, wenn ich auf den kleinen
Berg hinter unserm Garten ginge, da müsste es noch schöner sein! Sie
fürchtete sich gar nicht, lief auf den kleinen Berg und sah sich recht
satt an dem hellen Glanz - dann wollte sie wieder nach Hause und in ihr
Bettchen. Aber - aber von dem langen Sehen waren ihr die Augen ganz wie
geblendet geworden; statt in den Garten kam sie auf ein Feld, rannte dann
über eine Wiese, und auf einmal lief sie, ohne nur recht zu wollen, in den
dunklen dichten Wald hinein; sie hatten ihren Weg vollständig verloren und
wusste gar nicht mehr, wo sie war. Von Angst getrieben, lief Mathildchen weiter
und weiter, bis sie endlich ein kleines Licht durch die Bäume schimmern
sah.
Ach, dachte das kleine Mädchen, wo ein Licht ist, müssen doch auch
Menschen sein, die mir wieder den Weg nach Hause zeigen, ich will nur immer
darauf zugehen!
Sie merkte in ihre Eile gar nicht, wie sie immer bergan lief, sondern freute
sich nur, dass das Licht größer ward und ihr immer näher kam.
Der Weg war steiler, und zuletzt musste es atemlos stehen bleiben, denn es
konnte nicht mehr weiter. Nun schaute Mathildchen sich um, da blies ihm ein
kalter Wind über die heiße Stirne und rings herum waren keine
höheren Berge und keine Bäume mehr, du lieber Himmel - am Ende war
gar das Kind bis hinauf auf die Böllsteinerhöhe gerannt. Dem
Mathildchen zitterten die Knie vor Angst und Müdigkeit, aber es konnte
doch nicht da stehen bleiben und so schlich es dann langsam weiter, von einem
Baumstamm zum andern, hinter denen es sich versteckt hielt, bis es auf einmal
wirklich am Rande des großen, freien Platzes stand, der den
Böllstein bedeckt.
Aber, Kinder, was hat es da gesehen - das Matildchen vergaß
Müdigkeit und Angst und Alles, es wusste gar nicht mehr, ob es schon im
Himmel oder noch auf Erden war. Es starrte ganz verloren hinein in die
Herrlichkeit, die sich da vor seinen Blicken ausbreitete. Denkt Euch Kinder,
das war die Nacht, in der das Christkindchen Alles, was es das Jahr über
zusammengeholt und mit den Engelchen gearbeitet hat, aufstellt und ausbreitet
und dann auswählt, was es jedem von den kleinen und großen Leuten
bringen will. Die Christbescherung für die ganze Welt stand hier auf
einmal bei einander und nun könnt Ihr Euch denken, wie das glitzerte und
flimmerte und wie Mathildchen ganz im Ernste glaubte, es sei blind geworden, so
stach ihm all der Glanz in die Augen. nun wusste es auch, wovon der Wald so
hell und warum das Feuer so groß erschienen war, denn die hohen Tannen
und Fichten, welche um den freien Platz herum stehen, waren übersät
mit brennenden Wachskerzen, so dass sie fast den Mond und die Sterne
überstrahlten.
In der Mitte aber war das Schönste von Allem, da stand das liebe, goldige
Christkindchen selber und überschaute seine Herrlichkeiten.
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Luise Büchner 1821 - 1877
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