Die Geschichte vom Weihnachtsmarkt ( 2 )
Ach, es hätte doch gar zu gern auch einmal in
seinem Leben eine schöne, neue Puppe gehabt, aber es waren arme Kinder,
für die Niemand den Christbaum schmückte und die sich mit dem
bloßen Ansehen und Wünschen begnügen mussten.
"Möchtest Du die Puppe haben?" sagte die Tante freundlich zu dem
kleinen Mädchen und Mathildchen zog sie am Kleid und flüsterte:
"Liebste Tante, kaufe dem Kinde doch auch Eine!"
Die Tante aber schüttelte den Kopf und da das kleine Mädchen nicht
antwortete, sondern jetzt verschämt wegsah, fragte sie den
größten Knaben, ob sie Geschwister seien, wie sie hießen und
wo sie wohnten. Er gab auf Alles ordentlich Antwort, die Tante schrieb es in
ihr Notizbuch, dann nickte sie den Kindern freundlich zu und ging weiter.
"Aber Tante -" sagte Mathildchen ganz erstaunt. "Komm' nur
schnell", lautete die Antwort, "es ist viel zu kalt, um lange still
zu stehen und wir haben noch eine Menge Geschäfte. Nicht wahr,
Mathildchen, die Puppe mit dem rosa Kleid gibst Du gern dem kleinen
Mädchen und Georg überlässt seine Peitsche dem dicken Jungen mit
der Schmutznase, der gerade so groß ist wie er?" "Ja, Tante,
sehr gern!" riefen die Kinder, "aber sie sind ja nicht mehr da, wir
haben sie im Gedränge verloren!" "Nur Geduld, sie werden sich
schon wiederfinden. Da hat uns das unsichtbare Christkind einen Teil seiner
Arbeit übertragen und wir müssen und eilen, dass wir unsere Sache gut
machen. Ihr werdet schon sehen, wie das ist."
Nun kaufte die Tante noch allerlei hübsche Spielsachen ein, auch einige
warme Kleidungsstücke, dann verschiedenes Gebackenes, Glaskugeln,
Wachskerzen und zuletzt ein kleines Bäumchen, das Mathildchen zu ihrer
höchsten Freude eigenhändig nach Hause tragen durfte. Das kleine Volk
verging fast vor Neugierde, was es mit all' den Dingen geben sollte, die Tante
sagte aber nur: "Wartet bis heute Abend!"
Der Abend kam und mit ihm die trauliche Erzählerstunde. Die Kinder
saßen eng an die Tante gedrückt und Georg seufzte so recht aus
Herzensgrund: "Ach, jetzt brauchen wir nur noch einmal zu schlafen" -
"und dann ist das liebe Christkindchen da!" fuhr Mathildchen fort und
klatschte dabei jubelnd in die Hände. "Aber Tante, was erzählst
Du uns denn heute?"
"Heute erzähle ich Euch eine Geschichte vom Weihnachtsmarkt, die ist
noch viel schöner als die unsrige werden wird; hört mir recht
aufmerksam zu.
Vor vielen, vielen Jahren, als Ihr noch lange nicht auf der Welt waret, ist der
Weihnachtsmarkt schon eben so schön gewesen, als heute und alle Kinder der
Stadt, die armen wie die reichen, gingen hin, sich die Herrlichkeiten zu
betrachten. Das Christkind hatte schon damals die Gewohnheit, sich unbemerkt
unter die Menge zu mischen; über sein weißes Kleid hatte es einen
langen, dunklen Mantel gezogen und sein Blondköpfchen unter einer Kapuze
versteckt. Niemand konnte es erkennen, und so hörte es, was die Leute
miteinander redeten, was sie sich wünschten und vornehmlich achtete es auf
die Kinder, ob sie sich bescheiden oder habgierig und unartig auf dem
Weihnachtsmarkt benahmen. Gegen Abend kam es an eine Bude, in der waren die
schönsten Kinderspielsachen des ganzen Marktes zu finden, und sie war ganz
umdrängt von Kindern, die voll Sehnsucht und Bewunderung die wundervollen
Puppen, die Kochherde, die zierlichen Porzellangeschirre, die Puppenmöbel,
sowie die buntaufgezäumten Pferdchen, die Flinten, Trommeln und Trompeten
betrachteten.
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Luise Büchner 1821 - 1877
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