Die Geschichte vom Weihnachtsmarkt ( 6 )
Die Kinder bekamen Nadel und Faden, damit fädelten sie die Glasperlen ein,
dann wickelten sie feinen Draht um die goldnen und silbernen Nüsse und
knüpften lange Seidenfäden an die Konfektstücke. Die Tante hing
Alles auf, befestigte die Kerzchen an dem Baume und bald stand er fertig
geschmückt vor ihnen. Dann wurden die Spielsachen und
Kleidungsstücke, welche die Tante besorgt, herbeigeholt, für jedes
Kind ein Päckchen davon gemacht und sein Name darauf geschrieben. Dass die
rosa Puppe und die Peitsche mit dabei waren, versteht sich von selbst.
Sie waren kaum fertig, als es anklopfte und eine Frau hereintrat, die gar
ärmlich, aber reinlich gekleidet war. die Tante begrüßte sie
freundlich und sagte zu ihr: "Liebe Frau, da haben wir, mein Mathildchen,
mein Georg und ich eine kleine Christbescherung für Ihre Kinder
hergerichtet. Nehmen Sie Alles mit sich, verstecken sie es daheim und morgen
Abend, wenn es fünf Uhr schlägt, zünden Sie den Kinderchen den
Christbaum an, da brennt er gerade zur selben Zeit mit dem unsrigen." Die
Frau war überglücklich; sie drückte der Tante die Hand,
küsste Georg und Mathildchen und packte dann mit deren Hilfe Alles wohl
zusammen.
Nun waren aber die Kinder sehr müde, so wie die Tante auch. sie setzte
sich mit ihnen noch einen Augenblick auf das Sofa und nahm jedes in einen Arm,
da sagte Mathildchen, indem es sein Köpfchen an die Schulter der Tante
legte: "Tantchen, ich bin so vergnügt! Ich denke gar nicht mehr
daran, dass morgen schon Weihnachten ist, ich meine, es habe mir schon
beschert!"
"Ich bin auch vergnügt, mein Goldkind", antwortete die Tante,
"denn das gibt eine Bescherung nach meinem Sinn. Aus den großen,
allgemeinen Bescherungen, wo die armen Kinder in fremden Häusern und unter
den Augen von fremden Leuten in einen Saal mit einigen Christbäumen
getrieben werden, wo sie sich kaum umzusehen, noch weniger sich laut zu freuen
wagen, und dann, wenn sie heimkommen, ihr dunkles Stübchen noch dunkler
finden, mache ich mir im Grunde nicht viel. Wenn ich ein König wäre,
müsste am Weihnachtsabend in jedem Häuschen, wo Kinder sind, ein
Christbaum brennen und wäre er auch nicht größer als meine
Hand!" die Tante sagte das eigentlich nur für sich, denn die Kinder
hätten es doch nicht verstanden und schliefen auch schon halb. -
Als es aber wieder Abend ward, da brauchte die Tante nichts mehr zu
erzählen, denn da war der heilige Christ selber gekommen und hatte alle
Wünsche, Träume und Hoffnungen in glückselige Wirklichkeit
verwandelt. Georg und Mathildchen waren außer sich vor Freude, sie
wussten kaum, was sie zuerst und am meisten bewundern sollten. Mathildchen
stand vor einer herrlichen Puppenküche und war bereits in voller
Tätigkeit, einen Kuchen zusammen zu rühren, da rief sie
plötzlich aus Ihrem Jubel heraus: "Ach Tante, eben denke ich dran!
Jetzt ist es auch hell bei den armen Kindern und beschert es bei ihnen. Das ist
doch noch das Allerschönste!" "Ja, das Allerschönste!"
wiederholte Georg von seinem neuen Schaukelpferde aus.
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Luise Büchner 1821 - 1877
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