Weihnachten.mobi

  Wie der alte Christian Weihnachten feierte ( 4 )
  Aus dem Hause des Totengräbers, der ein Stück weiter die Straße hinauf wohnte, klang plötzlich doppelstimmig: "O, du fröhliche, o, du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit," und mein bewegliches Kinderherz streifte mit einem Lächeln die kleine Wehmut ab und wurde wieder hell und weihnachtsfröhlich, als gäbe es keine Kirchhöfe und keine hungrigen Krähen mehr auf der Welt. Jetzt kam auch der alte Christian zurück, aber ohne die grünen Zweige. "Hab' meiner guten Frau und der kleinen Käte da drin bloß sagen wollen, dass ich am Weihnachtsabend an sie denke," brummte er, nahm, ohne mich weiter anzusehen, seinen Sack auf und ging etwas schneller als vorher dem Walde zu.
  Ich ließ ihn vorausgehen und horchte auf den Klang des Weihnachtsliedes, der noch eine ganze Weile mit uns mitging; mir war, als wäre ich in der Kirche. Ich hätte dem alten Manne, der seine liebsten Menschen hatte begraben müssen und nun allein unter dem Weihnachtsbaum stehen würde, so herzlich gern etwas Liebes gesagt; aber ich wusste nicht, wie ich das beginnen sollte, und so ging ich schweigend hinter ihm her. Unvermutet kam mir da meine liebe Mutter in den Sinn; ich begriff, warum sie gerade dem alten Christian heut eine Herzensfreude bereiten wollte, und eine große Dankbarkeit überkam mich, ein neues schönes Gefühl von Liebe und Erkenntnis.
  Der Wald, der sich jetzt vor uns ausbreitete, kam mir in seiner weißen Einsamkeit fast schöner vor als im Sommer. Der Wind hatte sich gelegt, wir hörten nur den weichen Ton unserer Schritte und dann und wann ein leise Knacken im Holze, dass von dürren Ästen herrührte, denen die Schneelast zu schwer geworden war.
  Christian blieb stehen: "Nun wollen wir unsere Weihnachtstische herrichten," sagte er, nahm seinen großen Sack von den Schultern und band ihn auf. Was da nicht alles zum Vorschein kam! Hammer und Zange, Bindfaden und Nägel, Messer und Schere; und wozu er wohl alle die Strohmatten und zugespitzten Stäbe brauchen würde, die er aus den Tiefen des Sackes hervorholte. Meine Neugierde sollte bald gestillt werden, denn ich musste meinen Korb hinsetzen und ihm bei seiner wunderlichen Arbeit behilflich sein.
  Da, wo dichtes Astwerk den Schnee abgefangen hatte, so das der Boden nur wenig damit bedeckt war, bauten wir unsere Speisekammern. Zwei Ecken einer Matte banden wir etwa meterhoch an einem Baumstamm fest, während die beiden anderen Ecken auf zwei in der Nähe eingebohrten Pfählen befestigt wurden.
  So entstand ein gedeckter kleiner Raum, der den hungrigen Tieren gut zugängig war. Wir säuberten ihn vollends vom Schnee, und nun kam auch mein Korb und sein Inhalt an die Reihe. "Hier am Waldrand hält sich Meister Lampe gern auf," sagte der alte Christian; dabei langte er Kohlblätter und Rüben aus dem Korbe, um sie dem Häschen aufzubauen um ihm etwas seinen Winterhunger zu stillen. "Es ist ein Jammer, wie viel gutes unnütz auf dem Kehrrichthaufen verkommt", fügte er hinzu, "Wo doch so viel dankbares kleines Gesindel in der Welt umherläuft, ja, ja, der Mensch denkt kaum an seinesgleichen, wie sollte er der Kreatur gedenken." Ich nickte ernsthaft und nachdenklich, und dann gingen wir weiter.
  Alle fünfhundert Schritte etwa schufen wir ein neues Tischlein-deck-dich.
________________
weiter - 1 2 3 4 5 6
 
  Paula Dehmel 1862 - 1918
________________
zurück

Weihnachten.mobiWeihnachtsmärchen
Weihnachtsgeschic...
Weihnachtsgedichte
Weihnachtslieder

Weihnachtssprüche
Weihnachtsgrüße

Mobi - Seiten

Weihnachten.mobi ist eine Textsammlung. Aktueller Seitenbereich: Weihnachtsgeschichte - Wie der alte Christian Weihnachten feierte

Impressum
________________
copyright by Camo & Pfeiffer