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  Wie der alte Christian Weihnachten feierte ( 3 )
  Der alte Mann sah recht hilflos und ungeschickt dabei aus, aber mir gefiel es, und mein junges Herz fing an, den bärbeißigen Geber zu verstehen und zu lieben, wie nur Kinder lieben können, schnell und unmittelbar. Ich wollte ihm eigentlich sagen, dass uns solche Getränke verboten seien, fürchtete aber ihn zu kränken und schwieg. Tapfer trank ich die scharfe heiße Brühe, im stillen hoffend, dass meine Eltern es mir verzeihen würden. War ich doch damals schon zwölf oder dreizehn Jahre alt, und begriff, das Recht und Unrecht nicht so leicht zu sondern sind wie Äpfel und Nüsse, und dass man sein Herz so erziehen muss, dass es ohne große Mühe das kleinere Unrecht und das größere Recht herausfühlt.
  Der alte Christian sah befriedigt zu, wie ich schluckweise trank und meinen Pfefferkuchen mit der Katze und dem Star teilte. Plötzlich sagte er: "Hast du Zeit, eine Stunde mit mir in den Wald zu gehen? Du kannst mir tragen helfen." Ich nickte und sah ihn erwartungsvoll an. "Nun ja," fuhr er fort, als er meine fragenden Augen sah, "nun ja, die Kreatur soll doch auch wissen, dass Weihnachten ist." Damit nahm er den Starmatz von meiner Schulter, ging in die Küche, und ich hörte an seinem Zureden, dass er den Vogel in seinen Bauer sperrte. Mir brannten die Backen vor Freude; ich ahnte wohl, was der alte Waldhüter, der sein halbes Leben in Gemeinschaft mit den Tieren des Waldes zugebracht hatte, tun wollte, und ich war glücklich, dieser seltsamen Bescherung beiwohnen zu dürfen. War ich doch von klein auf daran gewöhnt, auch die Tiere als Gottesgeschöpfe zu betrachten, sie zu schonen und zu lieben, wie ein erwachsener Bruder seine unmündigen Geschwister schonen und lieben soll. Als der alte Christian gleich darauf mit seiner Pelzmütze, den Wasserstiefeln und einem Sack über der Schulter wieder in die Wohnstube trat, glich er ganz und gar dem Weihnachtsmann aus den Märchen, und ich ließ mir wie im Traum den vollgepackten Henkelkorb über den Arm hängen. Er nahm noch einen Spaten und mehrere Tannenzweige mit und schritt mir voran und die Treppe hinab. "Adjes, Frau Klemm," rief er durch die halboffene Küchentür seiner Wirtin zu, "In ein bis zwei Stunden bin ich wieder da." "Gut, Herr Merkenthin," klang es zurück, und ich ging und öffnete die Haustür. Der Spitz ließ uns mit leisem Knurren passieren. "Die Menschen sind auch misstrauisch, warum sollte es das Viehzeug es nicht sein," sagte mein Begleiter, "ihm kommt noch mehr Übles zu als unsereinem," und damit schritten wir der ungefähr eine Viertelstunde entfernten Schonung zu.
  Die Sonne neigte sich schon tief nach Westen und stand wie eine blutrote Scheibe am Himmel; ein kühler Wind strich über die Felder. Wir mussten am Ortskirchhof vorbei, und mein Blick streifte die in tiefen Schnee gebetteten Gräber. Nie war ich bisher im Winter hierher gekommen; ich kannte den Kirchhof nur voller Grün und Blumen, und eine Ahnung von der Feierlichkeit alles Gewesenen streifte meine junge Seele.
  Der alte Christian war stehen geblieben. "Warte ein paar Minuten," sagte er, "ich bin gleich wieder hier." Damit stellte er den Sack neben mich, nahm den Spaten und die grünen Zweige und verschwand hinter der eisernen Pforte. Ich sah ihm nach. Ein Schwarm Krähen flog bei seinem Eintritt in die Höhe, und ich verfolgte mit meinen Blicken die Vögel, wie sie krächzend dem Walde zuflogen. Ob die Tiere auch etwas vom Tode wussten? . . .
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  Paula Dehmel 1862 - 1918
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