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  Wie der alte Christian Weihnachten feierte ( 5 )
  Aber nicht bloß für die Hasen, auch für die Vögel wurde liebevoll gesorgt. Futterkästen mit allerlei Samen, Sonnenblumen- und Kürbiskernen wurden in Ast und Strauch untergebracht; Talgklöße und Speckschwarten, ja ein paar ganze Gänsegerippe und Bratenkeulen mussten sich die Bäume aufbinden lassen. "Die sind für die Meisen und Spechte, auch für die Rotkehlchen und das andere kleine Viehzeug, denen der Flug übers Meer zu weit ist," meinte der Christian; "hoffentlich naschen ihnen die Krähen und Dohlen nicht das beste weg. Aber die wollen doch auch leben," fügte er leise hinzu, "auch dem Bösesten knurrt der Magen, ja, wenn der Hunger nicht wäre, wenn der Hunger nicht wäre!"
  So stapften wir weiter durch den dichten Schnee, und während unser Gepäck immer leichter wurde, wurden unsere Herzen immer heller und weihnachtsfreudiger, und ich weiß nicht, wie es kam, plötzlich war mir das schöne Lied auf den Lippen, und ich sang es leise vor mich hin: "Es ist ein Reis entsprungen aus einer Wurzel zart . . ."
  Der Alte hörte andächtig zu, und als es zu Ende war, wiederholte er: "Mitten im kalten Winter - ja, mitten im kalten Winter, da blüht's oft drinnen am besten auf, aber das wirst du nicht verstehen, kleine Doktorn."
  Nein, ich verstand es damals noch nicht, jedoch ich fühlte, dass der alte Christian was Liebes damit meinte, und fasste nach seiner alten runzligen Hand.
  Das Schönste vom Tage sollten wir aber noch erleben. In einer Lichtung stand plötzlich ein großer Hirsch vor uns, und mehrere junge Hirsche und Hirschkühe kamen hinter ihm her. Er hob den Kopf mit dem schönen Geweih und sah uns klug und furchtlos an. Auf das leise Pfeifen des Alten kam er zutraulich näher und das ganze Rudel mit ihm. Wir warfen ihnen Brot und Kartoffeln zu, die sie sogleich verzehrten, ja, der große Hirsch wurde so dreist, dass er aus meiner ausgestreckten Hand ein Stück Brot nahm, und ihr könnt euch gewiss denken, wie sehr ich mich darüber freute.
  "Es ist Schonzeit, da weiß die Kreatur, dass sie was riskieren kann," brummte der Alte; aber auch aus seinen umbuschten grauen Augen zuckte die Freude über das hübsche Bild.
  Das schrille Geläute eines Schlittens, der auf der nahen Landstraße daherkam, ließ unsere lieben Gäste jäh auffahren und die Flucht ergreifen. Ich sah ihnen bedauernd nach. "Sie sind schon wieder her, kleine Doktorn," sagte Christian, "hier ist seit vielen Jahren ihr Futterplatz."
  Nun sah ich erst, dass etwa hundert Schritte von uns ein kleines festes Strohdach auf Pfählen aufgerichtet war, und dass noch geringe Futterreste verstreut umherlagen. Mein Begleiter nahm aus dem Korbe reichlich Rosskastanien, Eicheln, getrocknete Lupinen und das noch übrige Brot und baute es dem Wilde als Weihnachtsgabe auf. "Kommen die Rehe auch hierher?" fragte ich und hoffte im stillen auch diese hübschen Tiere nah bei sehen zu dürfen. "Nein, denen müssen wir woanders bescheren," meinte der Alte, "die haben eine feine Nase und lieben den Hirschgeruch nicht. Und kiesätig ist die Bande auch," fügte er hinzu, "wenn sie nichts Grünes mehr finden, fressen sie höchstens ein bisschen Korn und feines Heu, na, sie sollen auch ihr Teilchen kriegen. Aber aus der Hand werden sie dir wohl kaum fressen, du kleine Hexe, es ist ein furchtsames Chor; komm, ich weiß die Stellen, wo sie gern äsen, sie sollen heute auch was extra Leckeres haben."
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  Paula Dehmel 1862 - 1918
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