Weihnachten im deutschen Hause beim Gelehrten und beim Bürgersmann ( 1 )
Der rollende Erdball wälzte sich dem letzten Himmelszeichen zu, welches
die Seelen unseres Volkes mit magischer Gewalt auf das schönste Fest des
Jahres richtet. Weihnachten war nahe und die Frauenwelt der Parkstraße
fuhr in geheimnisvoller Tätigkeit einher. Der Verkehr mit guten Bekannten
wurde unterbrochen, angefangene Bücher lagen im Winkel, Theater - und
Konzertsaal wiesen leere Plätze, die Akkorde des Flügels und die
neuen Bravourarien klangen selten in die rasselnden Wagen der Straße,
innere Kämpfe wurden beschwichtigt, und böser Nachbarn ward wenig
gedacht. Was eine Hausfrau oder Tochter zu leisten vermochte, das wurde auch in
diesem Jahr auffällig. Vom Morgen bis zum Abend flogen kleine Finger
zwischen Perlen, Wolle, Seide, Pinsel und Palette umher, der Tag wurde zu
achtundvierzig Stunden ausgeweitet, selbst in den Minuten eines unruhigen
Morgenschlummers arbeiteten dienstfertige Heimchen und andere unsichtbare
Geister im Solde der Frauen. Je näher das Fest rückte, desto
zahlreicher wurden die Geheimnisse, in jedem Schrank steckten Dinge, die
Niemand sehen sollte, von allen Seiten wurden Pakete in das Haus getragen,
deren Berührung verpönt war. Aber während die Hausgenossen
geheimnisvoll an einander vorüberschlüpften, ist die Hausfrau stille
Herrscherin in dem unsichtbaren Reich der Geschenke, Vertraute und kluge
Ratgeberin aller. Sie kennt in dieser Zeit keine Ermüdung, sie denkt und
sorgt für Jedermann, die Welt ist ihr ein großer Schrank geworden
mit zahllosen Fächern, aus denen sie unablässig herausholt, in die
sie Verhülltes nach weisem Plane einstaut. Wenn am Weihnachtsabend der
Flitterstern blitzt, der Wachsstock träufelt und die goldene Kugel am
Christbaum schimmert, da feiert die Phantasie der Kinder ihre große
Stunde, aber die Poesie der Hausfrauen und Töchter füllt schon Monate
vorher die Zimmer mit fröhlichem Glanz.
Wenn man das Urteil des Herrn Hummel als gemeingültig betrachten darf, ist
leider auch den Männern, welche die Ehre eines Hauses zu vertreten haben,
die Begeisterung dieser Wochen nicht vollständig entwickelt. "Glauben
Sie mir, Gabriel", sagte Herr Hummel an einem Dezemberabend, während
er einem Jungen nachblickte, der mit Brummteufeln umging, "in dieser Zeit
verliert der Mann seine Bedeutung, er ist nichts als ein Geldspint, in dem sich
der Schlüsselbart vom Morgen bis zum Abend dreht. Die beste Frau wird
unverschämt und phantastisch, alles Familienvertrauen schwindet, Eines
geht scheu an dem Andern vorüber, die Hausordnung wird mit
Füßen getreten, die Nachtruhe gewissenlos ruiniert; wenn gegessen
werden soll, läuft die Frau auf den Markt, wenn die Lampe ausgelöscht
werden soll, fängt die Tochter eine neue Stickerei an. Und ist die lange
Not ausgestanden, dann soll man sich gar noch freuen über neue
Schlafschuhe, welche einen Zoll zu klein sind, und bei denen man später
die grobe Schusterrechnung zu bezahlen hat und über eine Zigarrentasche
von Perlen, die platt und hart sind, wie eine gedörrte Flunder. Endlich zu
allerletzt, nachdem man goldenen Funken gespuckt hat wie eine Rakete, fordern
die Frauen noch, dass man auch ihnen selbst durch eine Schenkung sein
Gemüt erweist. Nun, die meinigen habe ich mir gezogen."
"Ich habe auch Sie selbst gesehen," wandte Gabriel ein, "mit
Paket und Schachtel unter dem Arm."
"Dies ist wahr" versetzte Herr Hummel, "eine Schachtel ist
unvermeidlich. Aber, Gabriel, das Denken habe ich mir abgeschafft. Denn das war
das Niederträchtige bei der Geschichte.
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Gustav Freytag 1816 - 1895
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