Weihnachten im deutschen Hause ( 5 )
Dort erbot er sich den Stock zu nehmen, an dessen Spitze ein
Wachstockende befestigt war, um die höchsten Lichter des mächtigen
Baumes zu erreichen. Während er geschäftig an dem Baum arbeitete,
wurde ihm das Herz etwas leichter, und er sah mit Anteil auf die Geschenke,
welche unter dem Baum lagen. "Jetzt aber haben Ew. Hoheit die Güte
hinauszugehen," sagte Ilse, "und wenn ich klingele, so gilt es Ihnen
und Herrn von Weidegg, das kann Ew. Hoheit nicht erspart werden." Der
Prinz eilte hinaus, die Schelle tönte. Als die Herren eintraten, fanden
sie zwei kleine Tische gedeckt, darauf angezündete Bäumchen, und
unter jedem eine große Schüssel mit Backwerk, das man nur in der
Landschaft zu backen verstand, welcher sie angehörten. "Das soll eine
Erinnerung an unsere Heimat sein," sagte Ilse, "und auf dem
Bäumchen sind die Äpfel und Nüsse, welche die Herren selbst
vergoldet haben; die mit den roten Flecken sind Ew. Hoheit Arbeit. Und dies ist
eine respektvolle Sendung aus der Wirtschaft meines lieben Vaters. Ich bitte
die Herren, die geräucherte Gänsebrust mit gutem Appetit zu
verzehren; wir sind ein wenig stolz auf diese Leistung. Hier aber, mein
gnädigster Prinz, ist zur Erinnerung an mich ein kleines Model von unserm
Butterfass, denn dabei habe ich als ein Kind vom Lande meine hohe Schule
durchgemacht, wie ich neulich Ew. Hoheit erzählte." Und auf dem
Platze des Prinzen stand dies nützliche Werkzeug aus Marzipan gefertigt.
"Unten auf dem Boden habe ich Ew. Hoheit mein Sprüchel von damals
aufgeschrieben. Und so nehmen die Herrschaften mit dem guten Willen
vorlieb."
Sie sagte das mit so inniger Fröhlichkeit und bot dem Kammerherrn dabei so
gutherzig die Hand, dass diesem seine Anstandsbedenken ruiniert wurden und er
ihr recht wacker die Rechte schüttelte. Der Prinz aber stand vor seinem
Fässchen und dachte: "Jetzt ist der Augenblick oder er kommt
nie." Er las unten die anspruchslosen: "Hat man sich mit Einem recht
Müh gegeben, so bleibt es Segen für das ganze Leben." Da bat er
ohne alle Rücksicht auf die dräuenden Folgen seines Wagnisses:
"Darf ich Ihnen einen Tausch vorschlagen? Ich habe auch eine kleine
Buttermaschine gekauft, sie ist mit einem Rade und einer Scheibe zum Drehen,
und man kann sich darin jeden Morgen seinen Bedarf selbst machen. Es wäre
mir eine große Freude, wenn auch Sie diese annehmen wollten." Ilse
verneigte sich dankend, der Prinz bat, den Diener sogleich in sein Quartier zu
senden. Während der Kammerherr noch erstaunt den Zusammenhang
überdachte, wurde der Mechanismus in das Zimmer getragen, der Prinz setzte
ihn mit eigenen Händen auf eine Ecke des Tisches, erklärte der
Gesellschaft die innere Einrichtung, und war sehr erfreut, als Ilse sagte, dass
sie Zutrauen zu der Erfindung habe. Wieder wurde er das fröhliche Kind von
neulich, trank lustig sein Glas Wein und brachte mit gefälligem Anstand
die Gesundheit des Hausherren und der Hausfrau aus, so dass der Kammerherr
seinen Telemach gar nicht wieder erkannte. Und beim Abschiede packte er sich
selbst den Marzipan ein und trug ihn in der Tasche nach Hause.
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Gustav Freytag 1816 - 1895
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