Weihnachten im deutschen Hause ( 4 )
Als die Frauen den Ausputz der
Fichtenbäumchen begannen, erklärte der Prinz, auch er werde dabei
helfen. Er setzte sich vor die Untertasse mit Eiweiß, ließ sich die
Handgriffe zeigen und wälzte die bestrichenen Früchte in Gold und
Silberblättchen. Ilse setzte als Preis für den Herrn, der am meisten
und besten arbeiten würde, eine große Dame von Pfefferkuchen mit
Reifrock und Glasaugen, und es entstand ein löblicher Wetteifer unter den
Herren, die besten Stücke zu liefern. Der Professor und Kammerherr wussten
alte Kunstfertigkeiten zu verwenden, der Prinz aber arbeitete als Neuling etwas
liederlich, es blieben einzelne leere Stellen, und an andern bauschte das
Schaumgold. Er war mit sich unzufrieden, aber Ilse ermunterte ihn: "Nur
müssen Ew. Hoheit sparsamer mit dem Golde sein, sonst reicht es
nicht." Zuletzt erhielt der Kammerherr die Dame im Reifrock, und der Prinz
als außerordentliche Belohnung für seine Strebsamkeit ein
Wickelkind, das aber auch durch zwei Glaskorallen in die Welt starrte.
Draußen auf dem Weihnachtsmarkt standen die kleinen Kinder um die
Tannenbäumchen und Weihnachtsbuden und schauten ahnungsvoll und begehrlich
auf die Schätze, und in Ilses Zimmer saßen die großen Kinder
am Tische, spielend und glücklich; auch hier kam kein kluges Wort zu Tage,
und der Prinz machte sich zuletzt mit Eiweiß die Umrisse eines Gesichtes
auf die Handfläche und vergoldete sie mit den Metallblättchen. Als
der Erbprinz aufbrach, frug der Professor: "Darf ich fragen, wo Ew. Hoheit
den Weihnachtsabend verbringen?"
"Wir bleiben hier," versetzt der Prinz.
"Da seltene Musikaufführungen in Aussicht stehen", fügte
der Kammerdiener hinzu, "hat des Fürsten Hoheit auf die Freude
verzichtet, den Prinzen zum Fest in seiner Nähe zu haben, wir werden also
stille Weihnacht im Quartier halten."
"Wir wagen nicht einzuladen," fuhr der Professor fort, "falls
aber Ew. Hoheit an diesem Abend nicht in anderer Gesellschaft verweilen,
würde uns große Freude sein, wenn die Herren bei uns vorlieb
nähmen."
Ilsa sah dankbar auf den Gatten, und der Prinz überließ diesmal
nicht dem Kammerherr die Antwort, sondern nahm mit Wärme die Einladung an.
Als der Prinz zur geziemenden Stunde bei Werners eintrat, war die Bescherung
vorüber, der Christbaum ausgelöscht. Ilse hatte das so gewollt,
"es ist nicht nötig, dass die fremden Herrschaften sehen, wie wir uns
über die Geschenke freuen". Der Prinz empfing den Dank Ilses
über den Schmuck ihres Tisches mit Zurückhaltung und saß
schweigend und zerstreut vor dem Teekessel. Ilse dachte: "Ihm tut es weh,
dass er keinen frohen Weihnachtsabend hat, das ärmste Kind ist lustig vor
seinem Fichtenbäumchen, und er sitzt wie ausgeschlossen von den Freuden
der Christenheit." Sie winkte Laura und sagte dem Prinzen: "Wollen
Ew. Hoheit nicht unsern Christbaum ansehen? Die Lichter mussten gelöscht
werden, sonst brannten sie auf einmal herunter. Ist's aber Ew. Hoheit recht, so
zünden wir die ganze Herrlichkeit noch einmal an, und es wäre sehr
gütig, wenn Hoheit und dabei helfen wollten."
Das war dem Prinzen doch willkommen, und er ging mit den Frauen in das
Weihnachtszimmer.
________________
Gustav Freytag 1816 - 1895
________________
Weihnachten.mobi ist eine Textsammlung.
Aktueller Seitenbereich: Weihnachtsgeschichte - Weihnachten im deutschen Hause beim Gelehrten und beim Bürgersmann
________________
copyright by Camo & Pfeiffer