In der Dämmerstunde ( 1 )
Es war das Arbeitszimmer eines Beamten. Der
Eigentümer, ein Mann in den Vierzigern, mit scharf ausgeprägten
Gesichtszügen, aber milden, lichtblauen Augen unter dem schlichten,
hellblonden Haar, saß an einem mit Büchern und Papieren bedeckten
Schreibtisch; damit beschäftigt, einzelne Schriftstücke zu
unterzeichenen, welche der danebenstehende alte Amtsbote ihm überreichte.
Die Nachmittagssonne des Dezembers beleuchtete eben mit ihrem letzten Strahl
das große, schwarze Tintenfass, in das er dann und wann die Feder
tauchte. Endlich war alles unterschrieben.
"Haben Herr Amtsrichter sonst noch etwas?" fragte der Bote, indem er
die Papiere zusammenlegte. - "Nein, ich danke Ihnen." - "So habe
ich die Ehre, vergnügte Weihnachten zu wünschen." - "Auch
Ihnen lieber Erdmann."
Der Bote sprach einen der mitteldeutschen Dialekte; in dem Tone des
Amtsrichters war etwas von der Härte jenes nördlichsten deutschen
Volksstammes, der vor wenigen Jahren, und diesmal vergeblich, in einem seiner
alten Kämpfe mit den fremden Nachbarvolke geblutet hatte. - Als sein
Untergebener sich entfernte, nahm er unter den Papieren einen angefangenen
Brief hervor und schrieb langsam daran weiter.
Die Schatten im Zimmer fielen immer tiefer. Er sah nicht die schlanke
Frauengestalt, die hinter ihm mit leisen Schritten durch die Tür getreten
war; er bemerkte es erst, als sie den Arm um seine Schulter legte. - Auch ihr
Antlitz war nicht mehr jung; aber in ihren Augen war noch jener Ausdruck von
Mädchenhaftigkeit, den man bei Frauen, die sich geliebt wissen, auch noch
nach der ersten Jugend findet. "Schreibst du an meinen Bruder?"
fragte sie, und in ihrer Stimme, nur etwas mehr gemildert, war dieselbe
Klangfarbe wie in der ihres Mannes. - Er nickte. "Lies nur selbst!"
sagte er, indem er die Feder fortlegte und zu ihr empor sah. - Sie beugte sich
über ihn herab; denn es war schon dämmrig geworden. So las sie,
langsam wie er geschrieben hatte:
"Ich bin wieder gesund und arbeitsfähig, - glücklicherweise;
denn das ist die Not der Fremde, dass man den Boden, worauf man steht, sich in
jeder Stunde neu erschaffen muss. So schlecht es immer sein mag, darin habt Ihr
es doch gut daheim. Und wer wäre nicht gern geblieben, wenn er nur ein
Stück Brot und jenes unentbehrliche "sanfte Ruhekissen" des
alten Sprichworts sich hätte erhalten können."
Sie legte schweigend die Hand auf seine Stirn, während er, der ihren Augen
gefolgt war, das Blatt umwandte. Dann las sie weiter:
"Der guten und klugen Frau, die du vorige Weihnachten bei uns hast kennen
lernen, bin ich so glücklich gewesen, durch die Vermittlung eines
Vergleichs mit ihrem Gutsnachbarn einen wirklichen Dienst zu leisten; der
schöne, so sehr von ihr begehrte Wald ist seit kurzem endlich in ihrem
Besitz gelangt. Hätten wir morgen für deinen Freund Harro nur eine
Tanne aus diesem Walde! Denn hier ist viele Meilen in die Runde kein Nadelholz
zu finden. Was aber ist ein Weihnachtsabend ohne jenen Baum mit seinem Duft
voll Wunder und Geheimnis?"
"Aber du," sagte der Amtsrichter, als seine Frau gelesen hatte,
"du bringst in deinen Kleidern den Duft des echten Weihnachtsabends!"
- Sie langte lächelnd in den Schlitz ihres Kleides und legte ein
großes Stück braunen Weihnachtskuchen vor ihm auf den Tisch.
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Theodor Storm 1817 - 1888
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