In der Dämmerstunde ( 4 )
"Was meinst du," sagt er, indem er seinen Augen einen bedenklichen
Ausdruck zu geben sucht, "es wird wohl heute nicht viel für uns
abfallen!" Aber er lacht dabei so fröhlich, dass diese Worte wie eine
goldene Verheißung klingen. Dann, während in dem blanken
Messingkomfort der Teekessel saust, beginnt er eine seiner kleinen
Erzählungen von den Begebenheiten der letzten Tage, seit man sich nicht
gesehen. War es nun der Ankauf eines neuen Spazierstocks oder das
unglückliche Zerbrechen einer Mundtasse, es floss alles so sanft dahin,
dass man ganz davon erquickt wurde. Und wenn er gar eine Pause machte, um das
bisher Erzählte im behaglichsten Gelächter nachzugenießen, wer
hätte da nicht mitgelacht! Mein Vater nimmt vergeblich seine kritische
Prise; er muss endlich doch mit einstimmen. Dies harmlose Geplauder - es ist
mir das erst später klar geworden - war die Art, wie der tätige
Geschäftsmann von der Tagesarbeit ausruhte. Es klingt mir noch lieb in der
Erinnerung, und mir ist, als verstände das jetzt niemand mehr. - Aber
während der Onkel so erzählt, steckt plötzlich meine Mutter, die
seit Mittag unsichtbar gewesen ist, den Kopf ins Zimmer. Der Onkel macht ein
Kompliment und bricht seine Geschichte ab; die Tür und die
gegenüberliegende Tür werden weit geöffnet. Wir treten
zögernd ein; und vor uns, zurückgestrahlt von dem großen
Wandspiegel, steht der brennende Baum mit seinen Flittergoldfähnchen,
seinen weißen Netzen und goldenen Eiern, die wie Kinderträume in den
dunklen Zweigen hängen." - "Paul", sagt die Frau, "und
wenn wir ihn noch so weit herbeischaffen sollten, wir müssen wieder einen
Tannenbaum haben. Der arme Junge hat sich selbst einen Weihnachtsgarten gebaut;
er ist nur eben wieder fort, um Moos aus dem Eichenwäldchen zu
holen."
Der Amtsrichter schwieg einen Augenblick. - "Es tut nicht gut, in die
Fremde zu gehen," sagte er dann, "wenn man daheim schon am eigenen
Herd gesessen hat. - Mir ist noch immer, als sei ich hier nur zu Gaste und
morgen oder übermorgen sei die Zeit herum, dass wir alle wieder nach Hause
müssten!" - Sie fasste die Hand ihres Mannes und hielt sie fest in
der ihrigen, aber sie antwortete nichts darauf.
"Gedenkst du noch an eine Weihnachten?" hub er wieder an, "ich
hatte die Studentenjahre hinter mir und lebte noch einmal, zum letzten Mal,
eine kurze Zeit als Kind im elterlichen Hause. Freilich war es dort nicht mehr
so heiter, wie es einst gewesen; es war Unvergessliches geschehen, die alte
Familiengruft unter der großen Linde war ein paar Mal offen gewesen;
meine Mutter, die unermüdlich tätige Frau, ließ oft mitten in
der Arbeit die Hände sinken und stand regungslos, als habe sie sich selbst
vergessen. Wie unsere alte Margreth sagte, sie trug ein Kämmerchen in
ihrem Kopf, drin spielte ein totes Kind. - Nur Onkel Erich, freilich ein wenig
grauer als sonst, erzählte noch seine kleinen freundlichen Geschichten,
und auch die Schwester und die Großmutter lebten noch. Damals war jener
Weihnachtsabend; ein junges schönes Mädchen war zu der Schwester auf
Besuch gekommen. Weißt du wie sie hieß?" - "Ellen,"
sagte sie leise und lehnte den Kopf an die Brust ihres Mannes.
Der Mond war aufgegangen und beleuchtete ein paar Silberfäden in dem
braunen seidigen Haar, das sie schlicht gescheitelt trug, schmucklos in einer
Flechte um den Schildblattkamm gelegt. - Er strich mit der Hand über dies
noch immer selten schöne Haar.
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Theodor Storm 1817 - 1888
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