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  In der Dämmerstunde ( 3 )
  Aber er ist noch nicht fertig, aus dem Geldkörbchen werden blanke Silbermünzen für die Dienstboten hervorgesucht, eine Goldmünze für den Schreiber. "Ist Onkel Erich schon da?" fragte er, ohne sich nach mir umzusehen. - "Noch nicht, Vater! Darf ich ihn holen?" - "Das könntest du ja tun." Und fort renne ich durch das Wohnhaus auf die Straße, um die Ecke am Hafen entlang, und während ich drunten aus der Dämmerung das Pfeifen des Windes in den Tauen der Schiffe höre, habe ich das alte Giebelhaus mit dem Vorbau erreicht. Die Tür wird aufgerissen, dass die Klingel weithin durch Flur und Pesel schallt. - Vor dem Ladentisch steht der alte Kommis, der das Detailgeschäft leitet. Er sieht mich etwas grämlich an. "Der Herr ist in seinem Kontor," sagt er trocken; er liebt die wilde, naseweise Range nicht. Aber, was geht`s mich an. - Fort mach ich hinten zur Hoftür hinaus, über zwei kleine finstere Höfe, dann in ein uraltes, seltsames Nebengebäude, in welchem sich das Allerheiligste des Onkels befindet. Ohne Unfall komme ich durch den engen, dunklen Gang und klopfe an eine Tür. - "Herein!" Da sitzt der kleine Herr in dem feinen braunen Tuchrock an seinem mächtigen Arbeitspult; der Schein der Kontorlampe fällt auf seine freundlichen, kleinen Augen und auf die mächtige Familiennase, die über den frischgestärkten Vatermördern hinausragt. - "Onkel, ob du nicht kommen wolltest!" sage ich, nachdem ich Atem geschöpft habe. - "Wollen wir uns noch einen Augenblick setzen!" erwiderte er, indem seine Feder summierend über das Folium des aufgeschlagenen Hauptbuches hinabgleitet. - Mir wird ganz behaglich zu Sinne, ich werde nicht ein bisschen ungeduldig; aber ich setze mich auch nicht, ich bleibe stehen und besehe mir die Englands- und Weltindienfahrer des Onkels, deren Bilder an der Wand hängen. Es dauert auch nicht lange, so wird das Hauptbuch herzhaft zugeklappt, der Schlüsselbund rasselt und: "Sieh so," sagt der Onkel, "fertig wären wir!" Während er sein spanisches Rohr aus der Ecke langt, will ich schon wieder aus der Tür, aber er hält mich zurück. "Ah, wart doch mal ein wenig! Wir hätten hier wohl noch so etwas mitzunehmen." Und aus einer dunklen Ecke des Zimmers holt er zwei wohlversiegelte, geheimnisvolle Päckchen. - Ich wusste es wohl, in solchen Päckchen steckte ein Stück leibhaftigen Weihnachtens; denn der Onkel hatte einen Bruder in Hamburg, und er trat nicht mit leeren Händen an den Tannenbaum. So nie gesehenes, märchenhaftes Zuckerzeug, wie er mitten in der Bescherung noch mir und meiner Schwester auf unsere Weihnachtsteller zu legen pflegte, ist mir später niemals wieder vorgekommen.
  "Bald darauf steige ich an der Hand des Onkels die breite Steintreppe zu unserm Hause hinauf. Ein paar Augenblicke verschwindet er mit seinen Päckchen in die Weihnachtsstube; es ist noch nicht angezündet, aber durch die halbgeöffnete Tür glitzert es mir entgegen aus der noch drinnen herrschenden, ahnungsvollen Dämmerung. Ich schließe die Augen, denn ich will nichts sehen, und trete in das gegenüberliegende, festlich erleuchtete Zimmer, das ganz von dem Duft der braunen Kuchen und des heute besonders fein gemischten Tees erfüllt ist. Die Hände auf den Rücken mit langsamen Schritte geht mein Vater auf und nieder. "Nun seid ihr da?" fragt er stehen bleibend. - Und schon ist auch Onkel Erich bei uns; mir scheint, die Stube wird noch einmal so hell, da er eintritt. Er grüßt die Großmutter, den Vater; er nimmt meiner Schwester die Tasse ab, die sie ihm auf dem gelblackierten Brettchen präsentiert.
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  Theodor Storm 1817 - 1888
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