In der Dämmerstunde ( 6 )
Am meisten aber -
du hörst doch, Paul?" - "Ich höre, Frau." - "Am
meisten plagte ihn die Ellen; sie setzte ihm heimlich einen Strohkranz auf, sie
band ihm einen Gänseflügel vor den Flintenlauf; eines vormittags -
weißt du, es war Schnee gefallen - hatte sie einen Hasen, den der Knecht
geschossen, aus der Speisekammer geholt, und eine Weile darauf saß er
noch einmal auf seinem alten Futterplatz im Garten, als wenn er lebte, ein
Kohlblatt zwischen den Vorderläufen. Dann hatte sie den Vetter gesucht und
an die Hoftür gezogen. "Siehst du ihn, Paul? Da hinten im Kohl; die
Löffel gucken aus dem Schnee!" - Er sah ihn auch; seine Hand
zitterte. "Still Ellen! Sprich nicht so laut! Ich will die Flinte
holen!" Aber als kaum die Tür nach des Vaters Stube hinter ihm
zuklappte, war Ellen schon wieder in den Schnee hinausgelaufen, und als er
endlich mit der geladenen Flinte heranschlich, hing auch der Hase schon wieder
an seinem sicheren Haken in der Speisekammer. - Aber der Vetter ließ sich
geduldig von ihr plagen."
"Freilich," sagte der Amtsrichter und legte seine Arme behaglich auf
die Lehne seines Stuhls, "er hatte ja die Börse noch immer
nicht!" - "Drum auch! Die lag noch unangerührt droben in der
Kommode; in Ellens Giebelstübchen. Aber - wo die Ellen war, da war der
Vetter auch; heißt das, wenn er nicht auf der Jagd war. Saß sie
drinnen an ihrem Nähtisch, so hatte er gewiss irgendwie ein Buch aus der
Polterkammer geholt und las ihr daraus vor; war sie in der Küche und
backte Waffeln, so stand er neben ihr, die Uhr in der Hand, damit das Eisen zur
rechten Zeit gewendet würde. - So kam die Neujahrsnacht. Am Nachmittage
hatten beide auf dem Hofe mit des Vaters Pistolen nach goldenen Eiern
geschossen, die Ellen vom Weihnachtsbaum ihrer Geschwister abgeschnitten; und
der Vetter hatte unter Händeklatschen der Kleinen zweimal das goldene Ei
getroffen. Aber war`s nun, weil er am andern Tage reisen musste, oder war`s
weil Ellen fortlief, als er sie vorhin allein in ihrem Zimmer aufgesucht hatte
- es war gar nicht mehr der geduldige Vetter - er tat kurz und unwirsch und sah
kaum noch nach ihm hin. - Das blieb den ganzen Abend so, auch als man
später sich zu Tische setzte. Ellens Mutter warf wohl einmal einen
fragenden Blick auf die beiden, aber sie sagte nichts darüber. Der
Kirchspielvogt hatte auf andere Dinge zu achten, er schenkte den Punsch, den er
eigenhändig gebraut hatte, und als es drunten im Dorfe zwölf schlug,
stimmte er das alte Neujahrslied von Johann Heinrich Voß an, (Des Jahres
letzte Stunde)das nun getreulich durch alle Verse abgesungen wurde. Dann rief
man "Prosit Neujahr!" und schüttelte sich die Hände, und
auch Ellen reichte dem Vetter ihre Hand; aber er berührte kaum ihre
Fingerspitzen. - So war`s auch, da man sich bald darauf gute Nacht sagte. - Als
das Mädchen droben allein in ihrem Giebelstübchen war - und nun merk
auf, Paul, wie ehrlich ich erzähle! - da hatte sie keine Ruhe zum
Schlafen; sie setzte sich still auf die Kante ihres Bettes, ohne sich
auszukleiden und ohne der klirrenden Kälte in der ungeheizten Kammer zu
achten. Denn es kränkte sie doch; sie hatte dem Menschen ja nichts zuleide
getan. Freilich, er hatte sie gestern noch gefragt, ob sie den Hasen nicht
wieder im Kohl gesehen; und sie hatte dazu den kopf geschüttelt. - War es
etwa das, und wusste er denn, dass er den Hasen schon vor drei Tagen selbst
hatte mit verzehren helfen? - Sie wollte den schönen Brief des Vetters
einmal wieder lesen.
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Theodor Storm 1817 - 1888
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