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  In der Dämmerstunde ( 7 )
  Aber als sie in die Tasche langte, vermisste sie den Kommodenschlüssel. Sie ging mit dem Lichte hinab in die Küche, wo sie vorhin gewirtschaftet hatte.
  Von all dem Sieden und Backen des Abends war es noch warm in dem großen dunklen Raume. Und richtig, dort lag der Schlüssel auf dem Fensterbrett. Aber sie stand noch einen Augenblick und blickte durch die Scheiben in die Nacht hinaus. - So hell und weiß dehnte sich das Schneefeld; dort unten zerstreut lagen die schwarzen Strohdächer des Dorfes; unweit des Hauses zwischen den kahlen Zweigen der Silberpappel erkannte sie deutlich die großen Krähennester; die Sterne funkelten. Ihr fiel ein alter Reim ein, ein Zauberspruch, den sie vor Jahr und Tag von der Tochter des Schulmeisters gelernt hatte. Hinter ihr im Hause war es so still und leer; sie schauerte; aber trotz dessen wuchs in ihr das Gelüste, es mit den unheimlichen Dingen zu versuchen. So trat sie zögernd ein paar Schritte zurück. Leise zog sie den einen Schuh vom Fuße, und die Augen nach den Sternen und tief aufatmend sprach sie: "Gott grüß dich , Abendstern!" - Aber was war das? Ging hinten nicht die Hoftür? Sie trat ans Fenster und horchte. - Nein, es knarrte wohl nur die große Pappel an der Giebelseite des Hauses. - Und noch einmal hub sie leise an und sprach:
  Gott grüß dich, Abendstern!
  Du scheinst so hell von fern,
  über Osten, über Westen
  über alle Krähennesten.
  Ist einer zu mein Liebchen geboren,
  ist einer zu mein Liebchen erkoren,
  in sein täglich Kleid!
  Dann schwenkte sie den Schuh und warf ihn hinter sich. Aber sie wartete vergebens; sie hörte ihn nicht fallen. Ihr wurde seltsam zumute, das kam von ihrem Vorwitz! Welch unheimlich Ding hatte ihren Schuh gefangen, ehe er den Boden erreicht hatte? - Einen Augenblick noch stand sie so; dann mit dem letzten Restchen ihres Mutes wandte sie langsam den kopf zurück. - Da stand ein Mann in der dunklen Tür, und es war Paul; er war richtig noch einmal auf den unglücklichen Hasen ausgewesen?
  "Nein, Ellen," sagte der Amtsrichter, "du weißt es wohl; das war es denn doch diesmal nicht; er hatte nur, wie du, auch keine Ruh gefunden; - aber nun hielt er den kleinen Schuh des Mädchens in der Hand; und Ellen hatte sich am Herd auf einen Stuhl gesetzt, mit geschlossenen Augen, die Hände gefaltet vor sich in den Schoß gestreckt. Es war kein Zweifel mehr, dass sie sich ganz verloren gab; denn sie wusste wohl, dass der Vetter alles gehört und gesehen hatte. - "Ja, Paul, ich weiß sie noch; und es war sehr grausam und wenig edel von ihm. "Ellen," sagte er, "ist noch immer die Börse nicht für mich gemacht?" - Doch Ellen tat ihm auch diesmal den Gefallen nicht; sie stand auf und öffnete das Fenster, dass von draußen die Nachtluft und das ganze Sternengefunkel zu ihnen in die Küche drang." - "Aber", unterbrach er sie, "Paul war zu ihr getreten, und sie legte still den Kopf an seine Brust; und noch höre ich den süßen Ton ihrer Stimme, als sie so, in die Nacht hinaus nickend, sagte: "Gott grüß dich, Abendstern!"
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  Theodor Storm 1817 - 1888
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