In der Dämmerstunde ( 5 )
"Ellen hatte auch beschert
bekommen," sprach er weiter; "auf dem kleinen Mahagonitische lagen
Geschenke von meiner Mutter und was von ihren Eltern von drüben aus dem
Schwesterlande herübergeschickt war. Sie stand mit dem Rücken gegen
den brennenden Baum, die Hand auf die Tischplatte gestützt; sie stand
schon lange so; ich sehe sie noch;" - und er ließ seine Augen eine
Weile schweigend auf dem schönen Antlitz seiner Frau ruhen; - "da war
meine Mutter unbemerkt zu ihr getreten; sie fasste sanft ihre Hand und sah ihr
fragend in die Augen. - Ellen blickte nicht um, sie neigte nur den Kopf;
plötzlich aber richtete sie sich rasch auf und entfloh ins Nebenzimmer.
Weißt du es noch? Während meine Mutter leise den Kopf
schüttelte, ging ich ihr nach ; denn seit einem kleinen Zank am letzten
Abend waren wir vertraute Freunde. Ellen hatte sich in der Ofenecke auf einen
Stuhl gesetzt; es war fast dunkel dort; nur eine vergessene Kerze mit langer
Schnuppe brannte in dem Zimmer. "Hast du Heimweh, Ellen?" fragte ich.
- "Ich weiß es nicht!" - Eine Weile stand ich schweigend vor
ihr. "Was hast du denn da in der Hand?" - "Willst du es
haben?" - Es war eine Börse von dunkelroter Seide. "Wenn du sie
für mich gemacht hast", sagte ich; denn ich hatte die Arbeit in den
Tagen zuvor in ihren Händen gesehen und wohl bemerkt, wie Ellen sie,
sobald ich näher kam, in ihrem Nähkästchen verschwinden
ließ. - Aber Ellen antwortete nicht und gab mir auch nicht ihr Angebinde.
Sie stand auf und putzte das Licht, dass es plötzlich ganz hell im Zimmer
wurde. "Komm," sagte sie, "der Baum brennt ab, und Onkel Erich
will noch Zuckerzeug bescheren!" Damit wehte sie sich mit ihrem
Schnupftuch ein paar Mal um die Augen und ging in die Weihnachtsstube
zurück, und als wir dann später am Pochbrett saßen, war sie die
Ausgelassenste von allen. Von meinem Weihnachtsgeschenk war weiter nicht die
Rede. - - Aber weißt du, Frau?" - und er ließ ihre Hand los,
die er bis dahin festgehalten - "die Mädchen sollten nicht so
eigensinnig sein; das hat mit damals keine Ruhe gelassen; ich musste doch die
Börse haben, und darüber -" "Darüber, Paul? - Sprich
nur dreist heraus!" - "Nun, hast du denn von der Geschichte nichts
gehört? Darüber bekam ich nun auch noch das Mädchen in den
Kauf." - "Freilich," sagte sie, und er sah bei dem hellen
Mondschein in ihren Augen etwas blitzen, das ihn an das übermütige
Mädchen erinnerte, das sie einst gewesen, "freilich weiß ich
von der Geschichte, und ich kann sie dir auch erzählen, aber es war ein
Jahr später, nicht am Weihnachts-, sondern am Neujahrsabend, und auch
nicht hüben, sondern drüben."
Sie räumte das Tintenfass und einige Papiere beiseite und setzte sich
ihrem Manne gegenüber auf den Schreibtisch. "Der Vetter war bei
Ellens Eltern zum Besuch, bei dem alten prächtigen Kirchspielvogt, der
damals noch ein starker Nimrod war. - Ellen hatte noch niemals einen so
schönen langen Brief bekommen als den, worin der Vetter sich bei ihnen
angemeldet; aber so gut wie mit der Feder wusste er mit der Flinte nicht
umzugehen. Und dennoch, tat es die Landluft oder der schöne Gewehrschrank
im Zimmer des Kirchspielvogts, es war nicht anders, er musste alle Tage auf die
Jagd. Und wenn er dann abends durchnässt mit leerer Tasche nach Hause kam
und die Flinte schweigend in die Erde setzte - wie behaglich ergingen sich da
die Stichelreden des alten Herren. - "Das heißt Malheur, Vetter;
aber die Hasen sind heuer alle wild geraten!" - oder: , "Mein
Herzensjunge, was soll die Diana einmal von dir denken!"
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Theodor Storm 1817 - 1888
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