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  Die heilige Weihnachtszeit ( 6 )
  Es ist, als ob die Naturgesetze andere wären, und fast bangt man um das Gleichgewicht der Welt, da so plötzlich alles in Freude ist, da so plötzlich die Allgewalt der Charitas herrscht. Wenn ich am Morgen des Weihnachtsabends erwache und mein Auge auf den Christbaum fällt, der in Erwartung der nahen Jubelstunde still auf dem weiß gedeckten Tische steht, da werden mir die Augen feucht. O Weihnachtsfest, das du die Herzen der Menschen erweckest und mit himmlischem Maienhauch die Erde zum Heiligtum wandelst, sei gegrüßt! Sei gegrüßt, du göttliches, du unbegreifliches Weihnachtsfest.
 
  Der heilige Abend und der Christtag! Zwei Tage haben wir im Jahre, an welchem die Liebe herrscht, die vor nahezu zweitausend Jahren der Heiland geoffenbart hat. Wenn jedes neue Jahrtausend auch nur einen Tag der selbstlosen Liebe in das Jahr dazulegte, so brauchen wir nur mehr dreihundertdreiundsechzigtausend Jahre, bis die Erde - vorausgesetzt, dass sie so lange das Leben hat - ein Himmelreich ist.
 
  Übrigens, wenn manche Leute das, was sie für den "Himmel" tun, ohne dass die Mitmenschen davon einen Vorteil haben, für diese Welt und ihre Bewohner üben wollten, wir kämen noch um ein Bedeutendes früher zum heiß ersehnten Reiche Gottes auf Erden. -
  Ihr kennt die Geschichte, wie der arme Gregor hinausging in den Wald, um für seine lieben Kinder ein Christbäumchen zu holen. Dabei ergriff ihn der Förster und ließ ihn als einen Dieb und Waldfrevler sofort in den Arrest stecken. Das bürgerliche Gesetzbuch sagt, der Förster hätte recht getan. Das ist mir schon ein Verdächtiger, der immer nur aufs bürgerliche Gesetzbuch schaut und auf nichts anderes. Wir tragen ein anderes Gesetzbuch in unserem Herzen. Als ich einst in jungen Jahren aus dem Waldhause in die Fremde ging, unwissend und unerfahren, nahm mich meine Mutter an der Hand und sagte: "Peter, wenn du einmal einem anderen etwas tun willst und weißt nicht, ob's recht oder unrecht ist, so mache auf ein Vaterunser lang die Augen zu und denk', du wärest der andere." - Da habt ihr das Evangelium, den Katechismus und das bürgerliche Gesetzbuch in wenigen Worten beisammen.
  Finden denn die Weihnachtsglocken nimmer Harmonie in unserer Seele? Heute ausgelassene Schenkfreude, morgen wieder Lieblosigkeit. Wäre denn die Treue, das herzliche Anschließen des Menschen nicht selbstverständlich auf dieser Welt, wo die Elemente jede Stunde tausend Waffen gegen uns bereithalten? Wahrlich, es ist nicht klug, sich Feinde zu schaffen unter den Brüdern und hohlen Phantomen nachzujagen und Herzen zu verwunden die kurze Zeit, da wir das Sonnenlicht schauen über den Gräbern. Die Lichter am Weihnachtsbaum, sie brennen genauso feierlich ernst und still, wie jene dereinst an der Totenbahre! -
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  Peter Rosegger 1843 - 1918
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