Die heilige Weihnachtszeit ( 5 )
Am zweiten Tage nach Heiligen-Drei-König ist das Gedächtnis des
heiligen Erhard, der im steirischen "Mannelkalender" mit einem
Bischofsstabe und einer Holzaxt angedeutet steht.
Die Legende erzählt, dass die Holzaxt das Marterwerkzeug wäre, mit
welchem der heilige Bischof getötet worden sei; aber der Bauer weiß
es, dass Sankt Erhard die Axt hat, um damit endlich die Weihnachtsfeiertage
abzuhacken, nachdem solche mit leichten Unterbrechungen zwei volle Wochen
gedauert haben. Andere Auslegungen sind, dass Erhard mit der Axt die
eingeeisten Mühlräder enteisen und dann in den Wald Brennholz hacken
gehen will.
Und so ist Werktagzeit geworden. In der Kirche klingt die Weihnachtsstimmung
noch bis Maria Lichtmess fort. Hier außen tobt der Karneval; wer nicht
arbeitet und nicht betet, der mag tanzen, der Erdeboden ins eingeölt, der
Himmel drückt ein Auge zu.
Und mich wollen jetzt, da ich diese Betrachtung beschließe, die Prosanen
haben und die Frommen. Beide, um mich zu verbrennen. Ich entschlüpfe den
geringen Krallen wie ein Schmetterling. Ich liebe die Blumen. Und die holde,
die selige Weihnachtszeit mit ihren heiligen Mythen ist eine Blume mitten im
Winter des Jahres und des Lebens - eine Blume, die an meinem Busen blühen
möge, wenn ich freie und wenn ich sterbe. Oder weiß einer von Euch
Frommen und Prosanen im Himmel und auf Erden schöneres zu denken, als eine
junge keusche Mutter mit dem Kinde? Als ein Kind, das mit dem Fleisch
gewordenen Wort: "Tue Gutes denen, die dich hassen; liebe deinen
Nächsten wie dich selbst" die Welt erlösen will?
Zweiter Teil
Über der Waldlandschaft liegt eine starre, blasse Winternacht. Am Himmel
steht der Mond, aber der Schnee auf den Fichtenbäumen flimmert nicht, denn
der Mond und die Sterne sind durch eine matte Wolkenschicht verdeckt. In
solcher Dämmerung sind die Höhenrücken und die Täler und
Schluchten nur unbestimmt zu sehen, hier ragen die schwarzen Zacken der
Bäume schärfer auf, weiterhin verschwimmen die Umrisse der Berge und
Bäume teils in Frohlust, teils im Schleier eines sachte beginnenden
Schneiens.
Durch diese Nacht zittert ein Klingen. Es kommt von allen Seiten her, es ist,
als ob die Schneeflocken in der Luft klängen. Es steigt von den
Tälern herauf, wo Dörfer und Kirchen stehen, es sind die Glocken der
heiligen Weihnacht.
Welch eine wunderbare Erscheinung an diesem Tage! Wenn eines Tages am Himmel
zwei Sonnen stehen, so ist das Wunder nicht größer, als jenes, das
sich am Weihnachtsfeste vollzieht. Das ist ein Tag, an welchem von all den
eigennützigen Menschen keiner an sich, jeder an andere denkt. Einer den
andern mit Freuden zu überraschen, mit Gaben zu überhäufen, das
ist das Ziel dieses Tages. Es ist kalter Winter, aber keinen friert, denn die
Kerzen sind warm. Es gibt heimliche Arbeit Tag und Nacht, keiner ermüdet,
keinen hungert, die Liebe zum Mitmenschen stärkt und sättigt alle.
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Peter Rosegger 1843 - 1918
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