Die Geschichte vom Christkind-Vogel ( 2 )
Es schüttelte die blonden
Locken zurück, die ihm beim Nachdenken über die Stirn gefallen waren,
lachte fröhlich auf und schellte laut mit seinem silbernen Schellchen,
dass es weithin durch den Wald erklang und die Kinder im Tale es hörten
und glaubten, jetzt sei das Christkind schon da. Sie waren aber freilich
angeführt.
Im Walde jedoch ward es auf einmal lebendig; es raschelte und flatterte und
zwitscherte wie von tausend Vöglein und wirklich, da kamen sie alle
herbei, die im Walde wohnten, groß und klein. Sie kannten Christkindchens
Glöcklein gar wohl und wussten, dass es ihnen jedes Jahr auch bescherte.
Die Masse von Krümelchen, die sich das Jahr über in dem Sack des
Nikolauses aufhäuften, wurden den Vöglein am Weihnachtsabend
hingestreut und schmeckten ihnen gar zu gut. Sie glaubten Alle, sie seien
deshalb herbeigerufen, irrten sich aber eben so gewaltig, wie die Kinder im
Tale. Der Boden war zwar reingefegt, aber es lag nichts darauf als die Asche,
die Nikolaus beim Blasen aufgewirbelt. Die Vöglein waren sehr erstaunt und
fingen gleich an untereinander darüber zu schwatzen und Eines fragte das
Andere, warum ihre Krumen nicht da seien. Sie dachten, wie es oft auch die
Menschen tun, wenn sie das einmal bekommen, sei es nun ihr Recht und es
müsste immer so sein.
Wie sie nun im lautesten Schwatzen waren, schellte das Christkind noch einmal
und rief dann, so laut es konnte: "Stille!" Die Vöglein
schwiegen und das Christkind fuhr fort: "Ihr lieben Vögelein, ich bin
in großer Verlegenheit und weiß mir keinen Rat; wer von Euch will
mir einen Gefallen tun?"
Da rief es n allen Tonarten, hoch und niedrig, dumpf und helle: "Ich! -
Ich! - Ich!"
"Ach, wie gut seid Ihr", sagte das Christkindchen, "ich wusste
wohl, dass Ihr mir helfen würdet, jetzt hört nur: Seht, der böse
Nikolaus, der war nachlässig und hat das Feuer ausgehen und den Zunder
nass werden lassen. Jetzt habe ich kein Licht, womit ich den vielen Kindlein,
die auf mich warten, die Christbäume anzünden kann. Es muss neues
Licht von der Sonne heruntergeholt werden, wer von Euch will für mich
hinauffliegen und mir von der lieben, guten Sonne einen Strahl herunter
bringen?"
So lebhaft vorhin die Vögel gewesen, so mäusestill wurden sie jetzt;
sie hatten nicht gedacht, dass das Christkind ein so großes Wagstück
von ihnen verlangen würde und überdies ist Versprechen immer
leichter, als Halten. Da sie Alle "Ich!" gerufen, so sah Einer den
Andern an und Jeder dachte, sein Nachbar würde das "Ich!"
wiederholen. Als Keiner etwas sagte, fragte das Christkind ganz traurig:
"Nun, will mir Keiner von Euch den Gefallen tun?"
Da räusperte sich der Spatz und sagte: "Ja, siehst Du, liebes
Christkindchen, ich tue Dir Alles gern zu Gefallen, aber das ist zu viel
verlangt; wegen meiner flöge ich schon da hinauf, aber ich bin
Familienvater und darf mich meiner Frau und meinen Kinder wegen der Gefahr
nicht aussetzen, zu nahe an die Sonne zu kommen!" Als er geendet, warf er
sich in die Brust, sah im Kreis herum und die Vögel, die auch Familie
hatten, nickten ihm Beifall zu. Dann hörte man ein schmelzendes Girren und
die liebe Sängerin, die Nachtigall, begann zu zwitschern: "Es
schmerzt mich in tiefster Seele, teures Christkind, dass ich dir die Bitte
abschlagen muss, aber, Du wirst dies ja selbst einsehen - wie kann ich meine
himmlische Stimme an eine so gefährliche Reise wagen.
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Luise Büchner 1821 - 1877
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