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  Die Geschichte vom Christkind-Vogel ( 4 )
  Ei, ei, wie streckten da die vornehmen Herrn Vögel die Hälse neugierig aus und pusteten sich auf und schüttelten verächtlich mit den Köpfen und dabei zischelten sie: "Ei der Tausend, seht einmal den Herrn Zaunkönig an, wie patzig der sich macht!" Christkindlein aber weinte jetzt vor Freude; es drückte das Vöglein jetzt an seine Brust, küsste es und rief: "Flieg, mein lieber, kleiner Vogel, flieg! Du sollst mir auch fortan der Liebst im ganzen Walde sein!"
  Und das Vöglein flog, flog, flog, bis nur noch ein schwarzes Pünktchen und dann gar nichts mehr von ihm zu sehen war. Keines rührte sich von seinem Platze und Alles sah hinauf in die Höhe und Christkindchens blaue Augen leuchteten in überirdischer Freude. Es war auch Christkindlein, das wieder zuerst ganz oben am Himmel einen hellen Punkt erblickte; der Punkt kam näher und näher, bald glänzte er wie ein leuchtender Stern und dann wie eine kleine Sonne, die bald darauf zu Christkindchens Füßen niedersank. Wer konnte das anders sein, als der liebe Zaunkönig, der wirklich dem Christkind einen Sonnestrahl im Schnäblein mitbrachte. Schnell brannte Christkind sein Kerzchen an, ehe der Strahl erlosch, und dann bückte es sich, um nach dem Zaunkönig zu sehen, der noch erschöpft am Boden lag. O, Himmel, wie sah der arme Schelm aus! Die andern Vögel hatten wohl recht gehabt, man fliegt nicht ungestraft zur Sonne, aber wem so recht nach dem Lichte verlangt, der tut es doch und wenn er sich auch die Flügel dabei versengt. Denkt Euch, Kinder, der arme Zaunkönig hatte nicht ein Federchen mehr auf dem Leib, denn die heißen Sonnenstrahlen hatten sie Alle abgebrannt und er zitterte und fror, dass es zum Erbarmen war.
  "Das hat er nun davon!" erklärte salbungsvoll der Dompfaffe, und die Elster nickte mit dem Kopf und schrie: "Ich werde es jeden Tag als warnendes Beispiel meinen Kindern erzählen!" Die Nachtigall schwieg, denn im Grunde ihres Herzens schämte sie sich doch ein wenig und missgönnte dem Zaunkönig fast seinen nackten Leib. Indessen hatte aber der Nikolaus schnell seine Pelzmütze abgerissen, obgleich er sich tüchtig die Ohren dabei erfror, und bettete den Zaunkönig hinein, damit er nicht erfriere, bis er ein neues Kleidchen bekommen.
  Dazu musste schnell Rat geschafft werden. Christkind rührte wieder an seinem Schellchen und rief dann: "Ihr Vögel und Vöglein, höret mich an! Zur Sonne wolltet Ihr mir zwar nicht fliegen, und ich werde es auch nie mehr von Euch erwarten noch verlangen, aber für den armen, kleinen Zaunkönig, der mehr gewagt, als der Stolzeste von Euch, nehme ich Euer brüderliches Mitgefühl in Anspruch. Gebe ihm jeder von Euch eine Feder, damit ich ihm ein neues Kleidchen davon machen kann!"
  Nun predigte es keinen tauben Ohren; an diesem Werke beteiligte sich Jeder gern und Jeder wollte dabei der Erste sein. Schöne Reden halten und milde Beiträge sammeln, das ist gar nicht gefährlich, sondern sehr angenehm und gibt Ehre und Ansehen vor der Welt. Der Dompfaffe und die Nachtigall stellten sich an die Spitze, forderten die Federn ein und Letztere flötete ihre Bitte so süß, dass Keiner widerstehen konnte. Die Elster ermahnte mit lauter Stimme ihre ganze große Bekanntschaft, bei dem milden Werke nicht zurückzubleiben und versicherte Jedermann, sie gäbe zwei Federn. Die müssen aber verloren gegangen sein, denn man hat niemals Eine davon auf Zaunkönigs Leib entdecken können. Und doch gab es einen unter den Vögeln, der den ernsten Ermahnungen des Dompfaffs und der süßen Stimme der Nachtigall wiederstehen konnte. Das war der Uhu.
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  Luise Büchner 1821 - 1877
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