Die Geschichte vom Christkind-Vogel ( 5 )
Er
erwiderte mürrisch, die ganze Geschichte gehe ihn nichts an; er sei ein
Weiser und Gelehrter und betrachtete sich die Welt nur von oben herab. Dass
sich der Zaunkönig verbrannt habe, sei eine natürliche Folge seines
unvorsichtigen Fluges und er wolle nicht darunter leiden. Dies war so neidisch
und hässlich von dem Uhu, dass alle Vögel darüber entrüstet
waren und ihm erklärten, sie würden nicht mehr mit ihm umgehen. Darum
sitzt er auch jetzt immer allein und fliegt nur des Nachts aus, wenn die andern
Vögel schlafen. So wie dem Uhu sollte es auch allen neidischen Menschen
und Kindern gehen. -
Zum Glück brauchte man Uhu's Feder nicht, es waren genug andere da, in
einer Minute machte Christkind das neue Kleidchen fertig, streifte es dem
Zaunkönig über und da flog er wieder ganz munter aus der Pelzkappe
heraus und sah sich vergnügt um. Dann wollte er sich wieder ganz
bescheiden in der Vogelschar verlieren. Christkindchen aber griff mit beiden
Händen nach ihm, hielt ihn fest, drückte ihn an sich und sprach:
"Nein, Du bleibst bei mir, denn Du bist mir fortan der liebste Vogel im
ganzen Walde und Du sollst für immer der Christkind-Vogel heißen.
Wenn ich des Nachts ausreite, fliegst Du mit mir und pickst mit Deinem kleinen
Schnäblein leise an die Schlafstubenfenster, damit die Kinderlein merken,
wer in der Nähe ist. Komm' jetzt gleich mit mir, denn es ist schon fast
ganz dunkel und die Kinder werden mit Schmerzen auf mich warten!"
Da setzte sich das Vöglein auf Christkinds Schulter; es nahm sein Kerzchen
zur Hand, dann hoben beide ihre Flügel auf - und fort waren sie. Knurrend
trollte der Nikolaus hinter ihnen den Berg hinab. -
Der Georg und das Mathildchen merken es sich nun aber recht genau, wie
schön es ist gefällig zu sein, wenn man sich auch ein bisschen weh
dabei tut und nehmen sich fest vor, so gut und bescheiden zu werden, wie der
Christkind-Vogel. Den neidischen Uhu mögen sie aber nicht leiden und
wollen darum auch selber niemals neidisch sein. - Wenn es wieder Sommer wird,
geht die Tante mit den Kindern in den Wald, da besuchen sie den
Christkind-Vogel und bringen ihm ein Stück Kuchen mit.
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Luise Büchner 1821 - 1877
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