Weihnachten auf einem livländischen Pastorat ( 2 )
Wir werden in die Fremdenzimmer geführt. Jubel,
Lachen erfüllt plötzlich das Haus und macht den Pastor verwirrt und
stumm. Meine drei nehmen einfach Besitz vom Ganzen mit dem Übermut der
Jugend, und bald sitzen wir um den Kaffeetisch. Hochgetürmte Teller voll
frischer Kümmelkuchen, große Kannen Milch, Schalen mit Butter und
Honig und eine riesige Messingkaffeekanne stehen darauf. Der Pastor will seinen
Platz als Hausherr einnehmen und den Kaffee einschenken, aber das lassen seine
Gäste nicht zu. "Die Mutter muss obenan sitzen, die Mutter muss den
Kaffee eingießen", rufen sie. Ich werde auf den Ehrenplatz
gedrängt, der Pastor muss weichen; er ist völlig betäubt und
sagt zu allem ja.
Die Massen von Kümmelkuchen verschwinden, endlose Kannen von Milch und
Kaffee werden getrunken unter Lachen und Jubel. Englisch und deutsch, alles
wird durcheinander gesprochen, der Pastor sieht mich dazwischen ratlos an:
"Können drei Menschen solchen Lärm vollführen?" fragt
er mich leise. "Aber", fügt er strahlen hinzu, "es ist
herrlich!"
Nach dem Kaffee wird das Pastorat besehen; wir gehen durch alle Räume.
Welche Fülle von schönen, frohen Erinnerungen leben in diesem Zimmer!
Schon der Vater des jetzigen Pastors war hier Prediger, mit einer großen,
fröhlichen Kinderschar. Ich war häufiger Gast und lebte goldene
Ferienwochen unter diesem Dach. Nun waren sie alle in die Welt verstreut,
hatten ihre eigenen Häuslichkeiten, in die sie viel von der Liebe und der
Freude des Elternhauses getragen hatten. Wir kommen auch in die Küche, und
die Jugend lacht über die riesigen Holzklötze, die in dem
mächtigen Ofen verschwinden, auf dem schon das Abendessen steht. Die
estnischen Leute stehen strahlend und aufgeregt umher und werden
begrüßt.
Nach dem Abendessen versammeln wir uns um den runden Tisch im Wohnzimmer; wir
sollen die Nüsse für den Weihnachtsbaum vergolden. Das Wohnzimmer ist
behaglich und altmodisch, gefüllt mit wundervollen Mahagonimöbeln. An
der Wand steht ein langer Flügel aus alter Zeit, von der Decke hängt
ein herrlicher Empirekronleuchter herab. Von den Wänden schauen
Darstellungen aus der Bibel in schwarzen Rahmen, und die Bilder von Melanchthon
und Luther sehen ernst auf unser fröhliches Treiben. Die beiden
Fensterbretter sind voller Blumen; durch die Fenster funkelt die eisige
Winternacht. Ein unbeschreibliches Behagen, eine weltfremde Abgeschlossenheit
liegt in dem großen Raum. Die Nüsse werden an grüne Fäden
befestigt und vergoldet. Bei der Arbeit singen wir mehrstimmige
Weihnachtslieder. Meine Jugend schmückt sich mit den goldenen Nüssen;
an den Ohren, in den Haaren funkeln sie. Der Pastor sieht von einem zum andern
und nickt mir heimlich zu. Eva mit dem liebreichen hellen Gesicht, das von
goldbraunen Löckchen umgeben ist, Tempe mit dem schmalen, dunklen,
fremdländischen Antlitz und Bobbi mit den englischen Rassezügen und
den dunklen Augen, in denen ein merkwürdig zärtliches Licht liegt.
Ich treibe sie alle früh in die Betten. Sie sollen ausschlafen, denn viele
leuchtende Tage liegen noch vor uns.
Und leuchten waren die Tage, die nun kamen. Es dauerte lange, bis der stille
Pastor sich an dies stürmische Leben gewöhnte.
"Du wirst doch nicht krank werden?" sagte ich eines Tages zu ihm, als
er ganz blass und still in seinem Zimmer saß.
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Monika Hunnius 1858 - 1934
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