Erste Weihnachten in der Waldheimat ( 2 )
Aber wohl
war mir! Wohl zum Jauchzen und Weinen. Ich tat keines, ich blieb ganz ruhig und
redete gleichgültige Dinge. Der kleine Nickerl sah blass aus. "du
hast ja die Stadtfarb, statt meiner!" sagte ich, und habe gelacht.
Die Sache war so. Der Kleine tat husten, den halben Winter schon. Und da war
eine alte Hausmagd, die sagte es - ich wusste das schon von früher -
täglich wenigstens dreimal, dass für ein "hustendes Leut"
nichts schlechter sei, als "die kalte Luft". Sie verbot es, dass der
Kleine hinaus vor die Tür ging, sie hielt immer die Fenster geschlossen,
ja auch die Tür durfte nur so weit und so kurz aufgehen, wie eben noch ein
Mensch rasch aus- oder einschlüpfen kann. die Eltern wussten es der Alten
Dank, dass sie so gewissenhaft für den Kleinen mitsorgen half. So kam der
Knabe nie ins Freie und kriegte auch in der Stube keine gute Luft zu schnappen.
Ich glaube, deshalb war er so blass, und nicht des Hustens halber. Gehustet
hatte auch ich als Knabe, aber damals gab`s noch diese alte Magd nicht und ich
trieb mich mit meinen Geschwistern in der freien Weite um, wälzte
Schneeballen, rodelte über Berglehnen, rutschte auf dem Eis die Hosen
durchsichtig, so lange, bis der Husten wieder gut war. Aber der arme Nickerl
hatte keinen gleichgesinnten Kameraden mehr, er war unter Großen das
einzige Kind, das Hascherlein im Hause und fügte sich hilflos den
Gesetzen. Ich nützte die wenigen Ferientage gewissenhaft, um ihn der
lebensgefährlichen Fürsorge der Hausmagd abspenstig zu machen. Ich
lockte ihn aus dem Hause, verleitete ihn zum Schneeballwerfen, zum
Schneemandlbauen, wobei er warme Hände und rote Wangen bekam. Und am Abend
hustete er noch mehr. Mich schützte meine Stadtherrenwürde zwar vor
dem Schlimmsten, aber das konnte die Alte nicht bei sich behalten, dass ich
lieber in meinem Steinhaufen hätte bleiben sollen, als da herkommen, um
Kinder zu verderben. Wir setzten munter unsere Winterfreuden fort, und noch eh
ich in die Stadt zurückkehrte, war beim kleinen Brüderl der Husten
vergangen.
Doch ich laufe der eilenden Zeit voraus. Und will mich doch beim lieben
Christfest aufhalten.
In der demselben vorhergehenden Nacht schlief ich wenig - etwas Seltenes in
jenen Jahren. Die Mutter hatte mir auf dem Herde ein Bett gemacht mit der
Weisung, die Beine nicht zu weit auszustrecken, sonst kämen sie in die
Feuergrube, wo die Kohlen glosten. Die glosenden Kohlen waren gemütlich;
das knisterte in der stillfinsteren Nacht so hübsch und warf manchmal
einen leichten Glutschein an die Wand, wo in einem Gestelle die buntbemalten
Schüsseln lehnten. Aber die Schwabenkäfer! die nächtig aus den
Mauerlöchern hervorkrochen und zurzeit einmal Ausflüge über die
Glieder und das Gesicht eines Studenten machten! Indes wird ein gesunder Junge
auch die Schwabenkäfer gewohnt. Aber sie nicht ihn. Da war`s ein anderes
Anliegen, über das er noch obendrein schlüssig werden musste in
dieser Nacht, ehe die Mutter an den Herd trat, um die Morgensuppe zu kochen.
Ich hatte viel sprechen hören davon, wie man in den Städten Weihnacht
feiert. Da sollen sie ein Fichtenbäumchen, ein wirkliches Bäumlein
aus dem Walde auf den Tisch stellen, an seinen Zweigen Kerzlein befestigen, sie
anzünden, darunter sogar Geschenke für die Kinder hinlegen und sagen,
das Christkind hätte es gebracht. Auch abgebildet hatte ich solche
Christbäume schon gesehen. Und nun hatte ich vor, meinem kleinen Bruder,
dem Nickerl, einen Christbaum zu errichten. Aber alles im geheimen, das
gehört dazu. Nachdem es soweit taglicht geworden war, ging ich in den
frostigen Nebel hinaus.
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Paula Dehmel 1862 - 1918
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