Erste Weihnachten in der Waldheimat ( 4 )
Das schweigende Beten, sagt die
Mutter gern, sei wirksamer als das laute. Ja freilich, weil es ein Gebet des
Gedankens, des Gefühles ist. Nun, und den Vater begleitet der Nickerl mit
einem Gefäß Weihwassers und mit dem Sprenggrassel. So wie der Vater
durch das Räuchern segnete, so tat es der Kleine mit Sprengen. Es sollten
böse Geister vertrieben und gute ins Haus gesegnet werden. So hat man aus
den altgermanischen Rauhnächten kirchliche Rauchnächte gemacht.
Wenige Jahre vorher hatte ich dem Vater bei diesem priesterlichen Amte noch
geholfen, nun tat es schon das Brüderle, und gewiss auch mit jener
ehrfürchtigen Andacht, die den Geheimnissen dieser Nacht gebührt.
Dieweilen also die Leute alle draußen zu tun hatten, bereitete ich in der
großen Stube den Christbaum. Das Bäumchen, das im Scheite stak,
stellte ich auf den Tisch. Dann schnitt ich vom Wachsstock zehn oder zwölf
Kerzchen und klebte sie an die Ästlein. Das plagte ein wenig, denn etliche
wollten nicht kleben und fielen herab. Ich hätte sehr gern Geduld gehabt,
um alles ordentlich zu machen, aber jeden Augenblick konnte die Tür
aufgehen und vorzeitig wer hereinkommen. Gerade diese zitternde Hast, mit der
sie behandelt wurde, benützten die Kerzen, um mich ein wenig zu necken.
Endlich aber wurden sie fromm, wie es sich für Christbaumkerzchen geziemt
und hielten fest. Es war gut. Unterhalb, am Fuße des Bäumchens,
legte ich den Wecken hin.
Da hörte ich über der Stube auf dem Dachboden auch schon Tritte -
langsame und trippelnde. Sie waren schon da und segneten den Bodenraum. Bald
würden sie in der Stube sein, mit der wir den Rauchgang zu
beschließen pflegten. Ich zündete die Kerzen an und versteckte mich
hinter den Ofen. Noch war es still. Ich betrachtete vom Versteck aus das lichte
Wunder, wie in dieser Stube nie ein ähnliches gesehen worden. Die
Lichtlein auf dem Baume brannten so still und feierlich - als schwiegen sie mir
himmlische Geheimnisse zu. Aber da fiel es mir ein - wenn sie nieder brannten,
bevor die Leute kommen! Wie konnte ich`s denn hindern? Da konnte ja alles ganz
dumm misslingen! Es ist gar nicht so leicht, Christkindel zu sein, als man
glaubt.
Endlich hörte ich an der Schwelle des Vaters Schuhklöckeln - man
wusste schon immer, wenn er so klöckelte, dass es der Vater war. Die
Tür ging auf, sie traten herein mit ihren Weihgefäßen und
standen still.
"Was ist denn das?!" sagte der Vater mit leiser, langgezogener
Stimme. Der Kleine starrte sprachlos drein. In seinen großen runden Augen
spiegelten sich wie Sternlein die Christbaumlichter. - Der Vater schritt
langsam zur Küchentür und flüsterte hinaus: "Mutter! -
Mutter! komm ein wenig herein." Und als sie da war: "Mutter, hast du
das gemacht?"
Maria und Josef!" haucht die Mutter. "Was lauter habens denn da auf
den Tisch getan?" Bald kamen auch die Knechte, die Mägde herbei, hell
erschrocken über die seltsame Erscheinung. Da vermutete einer, der Jungen,
der aus dem Tale war: Es könnte ein Christbaum sein. Sollte es denn
wirklich wahr sein, dass Engel solche Bäumlein vom Himmel bringen? - Sie
schauten und staunten.
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Paula Dehmel 1862 - 1918
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