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  Unter dem Tannenbaum ( 2 )
  "Aber," fuhr der Amtsrichter mit veränderter Stimme fort, "ich sagte dem Knecht Ruprecht:
  Der Junge ist von Herzen gut,
  hat nur mitunter was trotzigen Mut!"
  "Ich weiß, ich weiß!" rief Harro triumphierend; und den Finger emporhebend, und mit listigem Ausdruck setzte er hinzu: "Dann kam so etwas!" - "Was dich in großes Geschrei brachte; denn Knecht Ruprecht schwang seine Rute und sprach:
  Heißt es bei euch denn nicht mitunter:
  Nieder den Kopf und die Hosen herunter?"
  "O," sagte Harro, "ich fürchtete mich nicht; ich war nur zornig auf den Onkel!"
  Über der Stadt, die sie fast erreicht hatten, stand nur noch ein fahler Schein am Himmel. Es dunkelte schon; aber es begann zu schneien; leise und emsig fielen die Flocken, und der Weg schimmerte schon weiß zu ihren Füßen. - Vater und Sohn waren eine Weile schweigend nebeneinander hergegangen. - "Am Abend darauf," hub der Amtsrichter wieder an, "brannte der letzte Weihnachtsbaum, den du gehabt hast. Es war damals eine bewegte Zeit, sogar das Zuckerwerk zwischen den Tannenzweigen war kriegerisch geworden: unsere ganze Armee, Soldaten zu Pferde und zu Fuß! - Von alledem ist nun nichts mehr übrig!" setzte er leiser und wie mit sich selber redend hinzu. Der Knabe schien etwas darauf erwidern zu wollen, aber ein anderes hatte plötzlich seine Gedanken in Anspruch genommen. - Es war ein großer bärtiger Mann, der vor ihnen aus einem Seitenwege auf die Landstraße herauskam. Auf der Schulter balancierte er ein langes stangenartiges Gepäck, während er mit einem Tannenzweig, den er in der Hand hielt, bei jedem Schritt in die Luft peitschte. Wie er vorüberging, hatte Harro in der Dämmerung noch die große rote Hakennase erkannt, die unter der Pelzmütze hinausragte. Auch einen Quersack trug der Mann, der anscheinend mit allerhand eckigen Dingen angefüllt war. Er ging rasch vor ihnen auf. - "Knecht Ruprecht!" flüsterte der Knabe, "hebe die Beine und spute dich schnell!" - Das Gewimmel der Schneeflocken wurde dichter, sie sahen ihn noch in die Stadt hinabgehen; dann entschwand er ihren Augen; denn ihre Wohnung lag eine Strecke weiter außerhalb des Tores. - "Freilich, "sagte der Amtsrichter, indem sie rüstig zuschritten, "der Alte kommt zu spät; dort unten in der Gasse leuchten schon alle Fenster in den Schnee hinaus." Endlich war das Haus erreicht. Nachdem sie auf dem Flur die beschneiten Überkleider abgetan, traten sie in das Arbeitszimmer des Amtsrichters. Hier war heute der Tee serviert; die große Kugellampe brannte, alles war hell und aufgeräumt. Auf der sauberen Damastserviette stand das feinlackierte Teebrett mit den Geburtstagstassen und dem rubinroten Zuckerglase; daneben auf dem Fußboden in dem Komfort von Mahagonistäbchen mit blankem Messingeinsatz kochte der Kessel, wie es sein muss, auf gehörig durchgeglühten Torfkohlen; wie daheim einst in der großen Stube des alten Familienhauses, so duftete auch hier in dem kleinen Stübchen die braunen Weihnachtskuchen nach dem Rezept der Urgroßmutter. - Aber während die Mutter nebenan im Wohnzimmer noch das Fest bereitete, blieben Vater und Sohn allein; kein Onkel Erich kam, ihnen feiern zu helfen. Es war doch anders als daheim.
  Ein paar Mal hatte Harro mit bescheidenem Finger an die Tür gepocht, und ein leises "Geduld!" der Mutter war die Antwort gewesen. Endlich trat Frau Ellen selbst herein.
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  Theodor Storm 1817 - 1888
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