Im Schnee ( 4 )
Von hier oben übersah man gleich, dass es ein aussichtsloses Unternehmen
war, in diesen Hohlweg noch weiter einzudringen, denn an seinem vorderen Ende,
wo er am tiefsten und dem Unwetter am heftigsten ausgesetzt war, bestand er
sich fast gestrichen voll Schnee.
Herr Maifeld übersah dies mit Feldherrnblick und traf seine Anordnungen.
"Johann," brüllte er mit einer Stimme, die gewohnt war,
über Felder und Wiesen hinweg Befehle zu erteilen, "mit die beiden
Brunen kümmst du noch dörch, wenn du sei äwer dat Aeuwer
lerrst.Denn fett di up dat Sadelpierd un mak, dat du na Hus kümmst, un
denn bringso väl Lühr mit Schüffeln mit, as jichtens tau kriegen
sünd. Wi gahn so lang nach Büchtingshagen in`n Kraug!"
Herr Dieterling, der die Befreiung seines Schlittens aus dieser misslichen Lage
natürlich nicht seinem Feinde verdanken wollte, gab seinem Krischan
unverweilt denselben Auftrag, und so haspelten sich die beiden Kutscher mit den
abgespannten Pferden nach rückwärts, leiteten sie auf dem ziemlich
schneefreien Ufer der Windseite einen Fußweg entlang, brachten sie auf
diesem Umwege glücklich den Abhang an der Wacknitz hinab und zuckelten
dann, alsbald im Schneegestöber verschwindend, davon, um ihre
Aufträge zu erfüllen.
Unterdes hatte auch Maifeld natürlich seinen Gegner erkannt, Fritz hatte
sich nach geleisteter Hilfe wieder respektvoll zu seinem Vater
zurückgezogen, und während nun die beiden Paare kämpfend mit
Wind und Schneetreiben in gemessener Entfernung voneinander dem Dorfe
Büchtingshagen zustrebten, bewegten die mannigfachen Gedanken ihre
Gemüter. Hella war erfüllt von Bangigkeit, wie diese Sache ablaufen
würde, und zugleich von Glück über das unvermutete Wiedersehen
mit ihrem Geliebten. Freilich, ob es so ganz unvermutet war, das konnte man
wohl ein wenig in Frage stellen. Denn da sie ganz genau wusste, an welchem Tage
und mit welchem Zuge Fritz in Zernin ankommen musste, so traf es sich
höchst merkwürdig, dass sie gerade um diese Zeit ganz notwenige und
unaufschiebliche Besorgungen in der Stadt zu machen hatte, wieder einer jener
Zufälle, die oft von ungeahnten Folgen sind.
Fritz dagegen war von stürmischen Gedanke erfüllt, die einander
drängten und jagten. Dieser glückliche Zufall, der die beiden
feindlichen Männer zum ersten Mal nach zehn Jahren an einen Ort
führte, wo sie sich nicht entrinnen konnten, dieser vielleicht niemals
wiederkehrende Augenblick durfte nicht ungenutzt vorübergehen. Aber wie?
Das war die Frage. Die beiden Väter aber ärgerten sich, verdammten
diesen hässlichen Zufall und schnauften, da sie beide wohlbeleibt waren
und in schweren Pelzen steckten, mit Anstrengung durch den hohen Schnee dahin.
Es war Nachmittag, die Dämmerung machte sich bereits bemerklich, und ehe
die Hilfe von den Dörfern kam und Bahn in den Schnee geschaufelt war,
konnten einige Stunden vergehen. Und so lange mussten sie in der sogenannten
Herrenstube des wohleingerichteten Dorfkruges von Büchtingshagen
miteinander aushalten. Eine Partie Whist mit dem Strohmann bildeten sie
allerdings gerade, aber daran war ja gar nicht zu denken. Verdammte Geschichte!
Dieterling und sein Sohn langten zuerst an und nahmen von dem alten
Rosshaarsofa an dem einen Ende des Zimmers Besitz, Maifeld und Tochter
ließen sich am andern Ende auf dem neuen glanzledernen nieder. Zwischen
beiden Parteien herrschte Schweigen und Dämmerung.
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Heinrich Seidel 1842 - 1906
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