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  Im Schnee ( 5 )
  Die freundliche Wirtin kam herein, bedauerte redselig das Schicksal der im Schnee Steckengebliebenen und nahm deren Bestellungen entgegen, während eine Magd den alten, schwarzen Kachelofen bis an den Rand voll Holz stopfte, so dass bald ein mächtiges Gebuller anhub und der Feuerschein auf den Fußboden des dämmrigen Zimmers tanzte. Draußen prickelte noch immer der Schnee an die Scheiben, doch hier drinnen wäre es ganz behaglich gewesen, hätte nicht das Gespenst eines alten Haders zwischen beiden Parteien gestanden.
  Fritz Dieterling, der still und brütend in seiner Ecke gesessen hatte, schien endlich seinen Plan fertig zu haben, er stand leise auf und ging hinaus. Drinnen wurde es allmählich dunkler, denn Licht hatten sich die beiden Herren einstweilen noch verbeten. Sie fühlten sich wohler, wenn sie einander nicht sahen. Beide rauchten in schweigendem Brüten "as wenn `n lütt Mann backt", und jeder sah die Zigarre des andern wie einen Glühwurm aus dem Dunkel leuchten. Die beiden Männer saßen in ihren Ecken wie zwei Gewitterwolken; und wenn sie in der Wucht der Gedanken, die sie bedrängten, stärker an ihren Zigarren zogen, so wetterleuchtete es auch, während ihr zeitweiliges Räuspern wie ein entfernter Donner klang. So saßen sie eine lange Weile, bis es ganz finster war. Da machte sich draußen auf der Diele ein Geräusch bemerkbar, und ein heller Lichtstreif wanderte durch die Türritze auf dem Fußboden hin. Plötzlich öffnete sich die Tür, und ein Strom von Helle ergoss sich in das Zimmer, denn die Wirtin trat herein, in jeder Hand eine Lampe. Hinterher folgten zwei stämmige Dienstmädchen und trugen einen für vier Personen gedeckten Tisch mit lauter guten Sachen besetzt. Dann kam Fritz mit einer mächtigen Bowle Weinpunsch, die ringsum herrlichen Duft verbreitete. Diese setzte er mitten auf den Tisch, die Wirtin stellte die Lampen daneben und ging mit ihren beiden Gehilfinnen eilends wieder hinaus. Eine dumpfe Stille war ringsum verbreitet, die beiden Väter sahen starr und drohend aus, und Hella war blass geworden wie draußen der frischgefallene Schnee. Auch Fritz schien ein wenig bedrückt von der Schwere dieses bedenklichen Augenblicks, denn er atmete tief und presste die Lippen aufeinander. Dann aber fasste er sich, stützte leicht die Fingerknöchel auf den Tisch und sprach mit klarer , vernehmlicher Stimme: "Verehrte Anwesende, ich bitte nur um wenige Augenblicke Gehör für eine ganz kleine Geschichte, die ich erzählen will. Es waren einmal zwei Männer, die beide ihr Vaterland innig liebten und bemüht waren, zu seinem Gedeihen so viel beizutragen, als nur in ihren Kräften stand. Über die Wege zu diesem Zwecke aber waren sie nicht einig, und da jeder glaubte, der seine sei der einzig richtige, so gerieten sie darüber in ein Zerwürfnis, und sie, deren Familien in ererbter Freundschaft durch viele Jahre miteinander verbunden waren, die Trauer und Freude, Leid und Lust bis dahin miteinander geteilt hatten, betrachteten sich mit Hass und Verachtung und lebten fortan in Feindschaft. Jahre vergingen, da kam plötzlich wie aus blauer Luft ein gewaltiger Krieg in das Land mit einem alten und mächtigen Feinde. Das Land, in Parteien vielfach zersplittert, vergaß seine politischen Kämpfe, Nord und Süd, die sich soeben noch feindlich gegenüberstanden hatten, reichten sich brüderlich die Hände, aller Hader war vergessen, alle Feindschaft vorbei, der einen großen, gemeinsamen Gefahr gegenüber. Vereinigt gingen sie Schulter an Schulter gegen den Feind und warfen in unglaublich kurzer Zeit seine gewaltige Macht zu Boden.
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  Heinrich Seidel 1842 - 1906
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