Im Schnee ( 3 )
Als das Gefährt an dem stattlichen
Dorfkruge von Büchtingshagen vorüber war, und die letzten Häuser
des Dorfes passierend in den Weg gegen die Wacknitzbrücke zu einlenkte,
wendete Krischan sein verschneites Haupt halb zur Seite gegen seinen Herrn und
sprach bedächtig: "Sall mi doch mal wunnern, Herr, un bün doch
nieglich, wo wi hüt Heiligabend fiern warden." "Ach, wat,"
antwortete dieser, "man tau, Krischan, dörch den Hollweg möt`t
wie un nahst hett dat nix mihr to seggen. Du fühst doch dei Sledentraden
vör uns. Wo dei anner dörch kümmt, dor warst du doch woll nich
hacken blieben."
Krischan grinste fast unmerklich: "Jeja," sagte er, "dei ward
dor woll all insitten as`n Proppen inne Buddel." Damit wandte er sich
wieder und trieb seine mutigen Pferde hinein in das weiße Schneegewimmel.
Zuerst ging es wohl, da sich der Weg in gleicher Fläche mit seinen Ufern
dahinzog, als sich diese aber zu beiden Seiten zu erhöhen begannen, da
wuchs auch zugleich die Menge des Schnees, der sich hinter dem Ufer an der
Gegenwindseite aufgehäuft hatte, die Pferde waren genötigt, ihre
Gangart zu mäßigen, und stampften schnaubend und zuweilen sich
mächtig schüttelnd im Schritt daher.
Fritz Dieterling war, nachdem er die notwendigsten Fragen und Antworten mit
seinem Vater ausgetauscht hatte, den ganzen Weg über in Gedanken und
Grübeleien versunken gewesen. Insbesondere lag es ihm am Herzen, wie bei
solchem wahnsinnigen Wetter die für morgen, den ersten Weihnachtstag,
verabredete Zusammenkunft am Vogelsang zu Stande kommen solle. Selbst wenn sich
dieses Schneetreiben bald legen würde, sah er die Möglichkeit nicht
ein, da alle Wege so gut wie ungangbar waren, noch dazu für ein zartes,
junges Mädchen. Und der zweite Gedanke war einer, der ihn in diesem ganzen
Vierteljahre kaum einen Tag verlassen hatte, nämlich der, wie unsinnig
doch die Feindschaft dieser beiden Väter sei, deren Familien sonst durch
jahrelanger Freundschaft verbunden gewesen waren. O, wie viele herrliche
Versöhnungsreden hatte er in Gedanken schon gehalten, und auch jetzt,
mitten in dem großen Schneegestöber wirbelten solche Worte in seinem
Kopfe wie Schneeflocken umher und ließen ihn alles andere kaum beachten.
Da mit einem Mal stand der Schlitten. Die Pferde, bis an die Brust im Schnee,
dampften und vermochten ihn nicht mehr von der Stelle zu bewegen. Krischan sah
sich um: "Je, Herr, nu `s `t ut."
Der Hohlweg machte hier eine kleine Biegung, und an diesem Orte hatte sich der
Schnee ganz besonders angehäuft. "Wenn wi utstiegen," sagte Herr
Dieterling, "denn mag`t jo noch gahn." Vater und Sohn kletterten aus
ihren Fußsäcken in den tiefen Schnee und auf das Ufer an der
Windseite, wo der Boden ziemlich rein gefegt war. Als sie dort oben standen,
bemerkten sie gleich hinter der Biegung des Hohlweges dicht vor sich einen
zweiten Schlitten in derselben Lage, nur noch tiefer in den Schnee verfahren.
Auch dessen beiden Insassen waren im Begriff auszusteigen und das Seitenufer zu
gewinnen, das an jener Stelle ziemlich steil war. Da eine in Pelze und
Mäntel gehüllte Dame dabei war, so eilte Fritz schnell hinzu, um ihr
behilflich zu sein, und als er nieder kniend die Hände hinabreichte,
durchzuckte ihn ein vergnügter Schreck, denn in diesem Augenblicke wehte
der Wind den Schleier beiseite, und Hellas Antlitz schaute ihm, von
verstohlener Freude lieblich gerötet, entgegen. Er half ihr das Ufer
ersteigen und leistete dann auch dem dicken Maifeld den nötigen Beistand.
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Heinrich Seidel 1842 - 1906
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