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  Friede auf Erden ( 2 )
  "Morgen ist Nachtmahl in der Gemeinde", fing der Sohn wieder an, "wollt Ihr nicht auch, Mutter?" Da fragte sie mit hastiger Stimme: "Ist Fried' im Land?"
  Der Nachtwächter schüttelte traurig den Kopf. "Wir erlebens nimmer, Mutter, Ihr nicht und ich nicht." Und er ging zur Tür hinaus.
  Da trat ihr Enkelsohn an das Bett, ein baumlanger Kerl. Er war hinter dem Ofen gesessen und hatte an einem Span geschnitzt. "Ich will in die Stadt gehen, Altmutter, und fragen, ob Krieg oder Fried' ist. Morgen früh bin ich wieder da."
  "Ja, geh", flüsterte die Kranke in fliegender Hast. "Geh, ehe dein Vater kommt, er leidet's sonst nicht."
  "Wen soll ich fragen, Altmutter?"
  "Im Torturm wohnt der Waibel. Seine Frau ist mein Patenkind. Die frag', die weiß es. Sie hat von mir ein silbernes Salzfass zur Aussteuer. Das soll sie dir geben zum Zeugnis der Wahrheit, wenn Fried' ist im Land. Geh, nimm deines Vaters Spieß mit, der Wolf -"
  Aber der Junge hörte nicht mehr. Schon eilte er den Berg hinab der Waldschlucht zu.
  Sechs Stunden war es bis zur Stadt. Der Weg dahin führte durch einsame Heide und wilden Wald, vorbei an ausgebrannten Mühlen und verlassenen Dörfern; dann stieg er hinunter ins breite, offene Tal an den großen Strom, wo die Heerstraße lief und die Städte lagen. Durch Wald und Heide trabte der Wolf, und durchs Tal zog Mordgesindel jahraus, jahrein, solches mit der roten Feder und solches mit der Sturmhaube, Schnapphähne und Soldaten.
  Den Tag über lag die Alte still. Als der Sohn das Mittagsmahl kochte - es war kein Frauenbild weiter im Haus - , fragte er: "Wo steckt denn der Bub?" Aber er fragte mehr sich selbst als seine Mutter, und diese schwieg. Der Abend dämmerte. Da schaute der Mann besorgt nach in Stall und Scheune, blickte die Dorfstraße hinauf und kehrte stumm in die Stube zurück. Er setzte sich auf die Ofenbank. Es wurde finster. Die Mutter stöhnte. "Wollt Ihr was?" fragte der Sohn von der Bank her.
  "Er wird in die Stadt sein", jammerte die Kranke. "Der Bub?" rief entsetzt der Mann.
  "Er will fragen, ob Fried' ist im Land."
  "Mutter", schrie der Sohn, "Euch rech'n ich's zu, wenn er mir verdirbt!"
  Die Kranke murmelte Unverständliches. Ihre Zähne schlugen zusammen. Beide schwiegen. Es wurde völlige Nacht in der Stube. Nur die Augen der Hauskatze leuchteten unter dem Ofen herauf.
  Als der Orion über das Scheunendach schaute, stand der Mann auf, nahm das Horn von der Wand und verließ wortlos die Stube. Die Katze strich ihm nach bis an die Tür, dann sprang sie auf den Fenstersims. Aber es wehte ein kalter Zug herein. Mit ein paar Sätzen war sie wieder am Ofen, legte sich auf den alten Platz, und ihre Augen leuchteten nach dem Bette der Sterbenden hinüber.
  Derweil stieg der Orion höher und höher, und jetzt schauten seine Sterne in die Waldschlucht hinein gleich unten am Dorf. Wolfsloch hieß es, und die Leute wussten warum. Das Sternenlicht drang hinab bis auf den schmalen, finstern Grund. Dort lag eine dunkle Masse, fast regungslos, Mensch und Tier im Ringen auf Leben und Tod.
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  Adolf Schmitthenner 1854 - 1907
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