Friede auf Erden ( 5 )
Der Sigrist bereitete das Nachtmahltischlein am Bette
der Kranken. Der Pfarrer beugte sich nieder, und wie ein starkes Geräusch
keuchten die klanglosen Worte: "Es ist Frieden; wollt Ihr jetzt zum
Nachtmahl?"
Da suchte die Frau angstvoll mit den Augen und tastete auf der Bettdecke herum.
"Wollt Ihr?" wiederholte der Pfarrer. "Seht, Ihr müsst
sterben. Macht Frieden mit Eurem Gott und zieht hin in Frieden!" Die
Greisin riss die Augen auf und sah den Pfarrer starr an. "Wo ist das
Salzfass?" flüsterte sie. Der Nachtwächter sagte: "Sie ist
irre." Da trat ein harter, verschlossener Zug auf das Antlitz der
Sterbenden. "Ich will - " stöhnte sie. "Was wollt Ihr,
Mutter?" fragte der Sohn und nahm sie in den Arm. "Ich will so
sterben", hauchte sie und deutete mit der Hand nach der Mauer. "Sie
will der Wand zu sterben", sagte der Sohn.
In diesem Augenblick ging die Tür auf. Ein Haufen Männer stand
draußen. "Sachte, langsam", riefen sie sich zu, und halb
führten, halb trugen sie den Enkelsohn der Sterbenden hinein. Die Kleider
hingen ihm in blutigen Fetzen vom Leib, die Brust war eine Lache, aus der es
dick und schwarz heraus quoll. die Männer wollten ihn in die Kammer
bringen, aber mit starrem Blick sah der Todwunde nach der Großmutter
Bett, und seine wankenden Beine strebten dorthin. So leiteten ihn die
Männer, wohin er wollte. Er sank nieder auf das Bett, so dass es über
und über mit Blut besudelt ward. Er tastete nach der Hand, und als er sie
gefunden hatte, drückte er ein Ding hinein, das seine Faust krampfhaft
umschlossen gehalten hatte. "Da, Altmutter, da", murmelte er,
"Euer Patenkind lässt Euch grüßen und Euch sagen, es sei
Fried' im Lande. Da ist das Salzfass zum Zeugnis der Wahrheit."
Das Pfand war ihm entfallen im Kampfe mit dem Untier. Darum war er noch mal
zurückgekehrt. Darüber waren ihm die Wunden, die er mit Moos
zugestopft hatte aufgebrochen.
Die Sterbende betastete das Salzfass. Da leuchtete es in ihrem Antlitz selig
auf. "Gott sei Dank", flüsterte sie, "Friede, Friede!"
"Sie stirbt ohne Nachtmahl", rief der Sigrist.
"Sie feiert es droben", hauchte der Pfarrer. "Küsst Eure
Mutter noch einmal", raunte er dem Nachtwächter zu, "und dann
macht Euch bereit, von Eurem Sohne Abschied zu nehmen. Ihr bringt dem Frieden
ein schweres Opfer."
Sie legten den Burschen sacht auf den Boden. Frauen wuschen ihm die Wunden. Der
Vater legte sich neben ihn nieder und sah ihm in die brechenden Augen.
"Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die den
Frieden verkündigen", raunte der Pfarrer. Da versagte ihm die Stimme.
Er hatte den Buben mit den trotzigen blauen Augen lieb gehabt. Der Todeskampf
begann. Der Vater hielt seinen Sohn umschlungen. Derweilen füllte sich die
Stube mit Männern und Frauen. Der Kampf war nicht schwer. Jetzt war es
aus. die Weiber fingen an zu weinen. Der Pfarrer kniete nieder. Da schwiegen
alle und knieten gleichfalls. Nur der Nachtwächter blieb an der Seite
seines Sohnes liegen. Der Pfarrer hub an: "Ehre sei Gott in der Höhe
-" Ein Schauder durchlief die Versammlung. Er hatte mit lauter Stimme
gesprochen. Der Pfarrer selbst hielt entsetzt inne. Er mochte sich
fürchten, von neuem zu beginnen. Endlich fuhr er fort. Erschütternd
gleich dem Glockengeläute, aber rein und klangvoll schallte es durch die
Stube: " - und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen."
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Adolf Schmitthenner 1854 - 1907
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