Weihnachten.mobi

  Der Dickkopf und das Peterlein ( 1 )
  Der Dickkopf war die bekannteste Person in der Stadt, trotz der Erlauchtheiten, die die Hochschulen schmückten. Er hieß eigentlich anders, und der Polizeihauptmann nannte ihn bei seines Vatersnamen; aber die Schutzleute rapportierten vom Dickkopf, und jeder von ihnen hatte sich für sein Taschenbuch eine eigene Abkürzung für diesen Namen ersonnen, einer sogar ein symbolisches Zeichen. Sein Standort war an einer bestimmten Straßenecke im belebtesten Teile der Stadt. Wer nicht lediglich zum Spazierengehen auf der Welt war, musste mindestens einmal im Tag an ihm vorbei; und wer an ihm vorbeiging, stieß vom Gehweg hinunter, denn der Dickkopf machte niemand Platz. Er grüßte auch niemand. Früher hatte er die Studenten dadurch ausgezeichnet, dass er an seine Dienstmannsmütze griff und diejenigen Menschen, die er als Autoritäten anerkannte, wie dem Staatsanwalt, dem Prorektor und dem Oberpedell, hatte er vertraulich zugenickt. Jetzt aber war er für beides zu dick und faul geworden. Die Hände in den Hosentaschen, stand er da und starrte den Vorübergehenden ins Gesicht.
  Zuweilen kam es vor, dass Fremde, die Hilfe brauchten, etwas betreten und zögernd den Dickkopf zu einem Dienstmannsgeschäft beanspruchten; die wies er dann mit einer kurzen Handbewegung über die Straße hinüber, wo andere Dienstmänner standen. Er selbst befasste sich nur mit seiner Arbeit. Die bestand im Augenzwinkern und ein paar halblauten Worten. Es waren junge Frauenzimmer, parfümierte Damen in elegantem Putz und solche im fahrigen Aufzug der stellenlosen Kellnerin, mit denen er, während sie vorbeihuschten, das Augenzwinkern und die halblauten Worte tauschte. Nicht die saubersten Geschäfte mochten es sein, von denen sich der Dickkopf täglich nährte und häufig betrank. Aber er hatte auch seine Verdienste um die bürgerliche Gesellschaft. Zu den Leuten, denen er zublinzelte und die ihm Fragen zuraunten, gehörten auch die Geheimpolizisten der Stadt. So konnte man nicht wissen, ob es der sittlichen Ordnung zuleid oder zulieb sei, wenn er mit einem Male aus der faulen Ruhe aufbrach, seinen Platz verließ und wie ein Mann, der weiß, was er will, irgendeine Straße hinausschob. Dann fassten die Kindermädchen ihre Pflegebefohlenen um die Handknöchel und stiegen mit ihnen vom Bürgersteig hinunter; die Kleinen aber sagten: "Der Dickkopf kommt."
  Dieser Dickkopf war es, auf den sonderbar genug im Konfirmandenunterricht die Rede kam. Der Pfarrer sprach von der Entheiligung des Sonntags. Seine Knaben waren fast lauter Armeleutekinder, aufgewachsen in den Gassen der Altstadt, ausgestattet mit einem Schatz von Anschauungen, um den sie keine Mutter aus dem Villenviertel beneidet hätte, der aber die Jungen nicht daran hinderte, so fröhlich und harmlos wie möglich in die Welt zu schauen. Deshalb fand der junge Geistliche Verständnis, als er bei seinen Erläuterungen in die Wirklichkeit griff. Aber freilich, die Stimmung, die die Beispiele erzeugten, war eine ganz andere als seine eigene. Eine stille Heiterkeit verbreitete sich über die Gesichter der Knaben. Nicht als ob sie Allotria getrieben oder gelacht hätten, sie waren ganz bei der Sache; aber die Bilder, die an ihren Augen vorübergingen, belustigten sie, und es stellte sich aus ihrem Schatze andere ein von ähnlicher Art, Vorgänge der Gasse, der Stiegen und Hinterhöfe, und die Knaben machten gerade solche Augen, wie sie sie zu machen pflegten, wenn sie in Neugier und Spannung zuschauten, welchen Verlauf diese Vorgänge in der Wirklichkeit nahmen.
________________
weiter - 1 2 3 4 5 6 7 8 9
 
  Adolf Schmitthenner 1854 - 1907
________________
zurück

Weihnachten.mobiWeihnachtsmärchen
Weihnachtsgeschic...
Weihnachtsgedichte
Weihnachtslieder

Weihnachtssprüche
Weihnachtsgrüße

Mobi - Seiten

Weihnachten.mobi ist eine Textsammlung. Aktueller Seitenbereich: Weihnachtsgeschichte - Der Dickkopf und das Peterlein

Impressum
________________
copyright by Camo & Pfeiffer