Der Dickkopf und das Peterlein ( 2 )
Am fröhlichsten sah das Peterlein aus seinen Augen. Das war ein kurzer,
stämmiger Junge, weiß und rot im Gesicht, mit gelben, glatten Haaren
und goldbraunen Sternen. Der brachte die Lippen gar immer zusammen; es kam ihm
ein Lächeln über das andere. Die weißen Zähne blitzten,
und die Augen strahlten den Lehrer an in schwelgender Wonne.
Das Peterlein war überhaupt eine lustige Haut, so kalt ihm der wind durch
die dünnen Hosen pfiff. Der Pfarrer hatte diese lichtbraunen Augen, aus
denen das ganze Herz lachte, liebgewonnen, seitdem er einmal zwei große
Tränen darin erschaut hatte; die waren hineingekommen, als der Pfarrer
seinen Schülern aus "Onkel Toms Hütte" vorlas, wie die
Mulattin Elisa, von den Sklavenjägern gehetzt, ihr Kind auf blutenden
Füßen über die Eisblöcke des Ohio trug und drüben am
rettenden Ufer niedersank - so weit war er gekommen -, da stieg ein tiefer
Seufzer aus Peterleins Brust, und als der Vorleser innehielt und aufschaute, da
sah er große Tränen in Peterleins Augen glänzen. Seitdem ruhte
sein Bild gerne auf Peterleins sonnigem Angesicht, und ohne dessen bewusst zu
werden, las er die Wirkung seiner Worte von ihm ab.
So tat er auch heute.
Als er sah, wie Peterleins Augen in Fröhlichkeit schwammen und sein
Köpfchen sich neigte unter dem Übermaß des Behagens wie ein
Blumenkelch unter dem Tau, da hielt der Pfarrer inne und wollte gerade
abbrechen. Aber schon meldeten sich drei, vier Finger. Die Konfirmanden wollten
nun ihrerseits, wie sie es gewohnt waren, etwas zur Unterhaltung beitragen.
Der erste, der aufgerufen wurde, deutete auf einen Mitschüler in der
hintersten Bank und erzählte:
"Am letzten Sonntag ist dem Wolf sein Vater vom Wolf seiner Mutter aus dem
Schottenhof geholt worden. Dort hat's Freibier gegeben. Dem Wolf sein Vater hat
nimmer laufen kön -"
"Schweig und schäm' dich!" fuhr der Pfarrer den Jungen an.
Die Kinder wandten sich alle um, und schauten nach dem Sprössling des
würdigen Vaters. Der arme Kerl saß in blutroter Verlegenheit und
starrte die Bank an. Das Peterlein aber machte flink wie der Blitz dem
hässlichen Angeber eine Faust. Der Pfarrer ergriff die Hand am
Knöchel, drückte sie leise auf das Brett und sagte: "Es war
nicht bös gemeint; aber ihr wisset doch, dass ihr nichts übereinander
und über eure Eltern hier in der Stunde sagen dürft. Wir wollen jetzt
über was anderes reden. - Du, was willst du denn?"
Das Büblein eines Studentendieners stand auf und sagte: "Ich
weiß noch was. Der Dickkopf - "
Ein schallendes Gelächter erfüllte die Stube. "Da ist doch
nichts zu lachen!" schalt der Pfarrer. "Was ist mit dem
Dickkopf?"
"Der Dickkopf hat letzt beim Kommers unserer Herren fünfundzwanzig
Liter Bier getrunken."
"Wie kommt denn der Dickkopf auf den Kommers eurer Herren?"
"Er war Vizefax; er hat meinem Vater beim Schenken geholfen."
"Der Dickkopf kann viel vertragen," meinte ein Junge. Ein neuer Sturm
der Heiterkeit brach los.
"Still!" rief der Pfarrer, "wie könnt ihr über so
etwas Abscheuliches lachen! Mitleid solltet ihr haben mit dem armen Menschen.
Der Dickkopf hat auch eine unsterbliche Seele."
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Adolf Schmitthenner 1854 - 1907
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Aktueller Seitenbereich: Weihnachtsgeschichte - Der Dickkopf und das Peterlein
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