Der Dickkopf und das Peterlein ( 6 )
Er tauchte gerade gewichtig die Feder in das
enghalsige Tintenfläschchen, um hinter das letzte Wort, das er geschrieben
hatte, ein paar Ziffern zu malen; da öffnete sich leise die Tür und
das Peterlein kam herein, auf den Zehen, barhäuptig, lächelnden
Angesichts. Es winkte seinem Freunde Stillschweigen zu, ging leise auf den
Tisch los, ergriff die Lampe, wie wenn es so sein müsse, und trug sie,
ohne ein Wort zu sagen, mir nichts dir nichts zur Stube hinaus.
Auch der Dickkopf hatte kein Wort gesagt, so erstaunt und erschrocken war er.
Er ließ den Federhalter in dem Tintenfläschchen stecken und strich
sich mit der linken Hand über die Stirn. Da tat sich die Tür weit auf
und das Peterlein kam noch einmal herein und hielt den brennenden
Weihnachtsbaum in beiden Händen. Langsam und feierlich schritt es vor. In
der Mitte der Stube blieb es stehen, hielt den Weihnachtsbaum zur Seite, so
dass sein Köpfchen frei war, schaute dem Dickkopf mit seinen Augen ins
Gesicht und rief mit glockenheller Stimme:
"Fürchte dich nicht, Dickkopf, siehe, ich verkündige dir
große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn dir ist heute der
Heiland geboren, Dickkopf, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt
Davids!"
Hierauf trat das Peterlein an den Tisch und stellte das Bäumchen darauf,
griff in die Tasche und legte das Fünfmarkstück davor. Es prüfte
mit den Augen, ob der Baum gerade stünde. Dann schaute er noch einmal den
Dickkopf lächelnd an, neigte sein Köpfchen, wandte sich langsam um
und ging leise, wie es gekommen war, zur Tür hinaus.
Der Dickkopf stützte sein schweres Haupt zwischen die Hände und
schaute das blanke Geldstück an und drehte es im Kreise herum. Es wurde
ihm heiß und wunderlich zumute, und es ist nicht sicher, ob die schweren
Tropfen, die auf das Fünfmarkstück niederfielen, von der Stirn oder
anderswoher kamen. Mit schiefen Augen schaute er den Brief an, an dem er
geschrieben hatte, und machte dabei ein Gesicht, wie er zu tun pflegte, wenn
ihm das Bier nicht schmeckte. Er schob ihn zur Seite. Dann legte er beide Arme
auf den Tisch und seinen dicken Kopf darauf; die Herzbewegung hatte ihm Schlaf
gemacht.
Als das Peterlein den Schinken an seinen Ort getragen hatte, sprang es
leichtfüßig und lustig seinem Hause zu. Ach, wie freute es sich auf
seinen Weihnachtsbaum! Oben an der Gerbergasse dachte es: "Will doch
schauen, ob seiner noch brennt!"
Es lief die Gasse hinunter, öffnete das Hoftor und schaute zum Fenster
hinauf. Ja, der Weihnachtsbaum brannte noch.
Aber was ist das dort? Der unheimlich flackernde Lichtschein?
Das Peterlein wollte schreien, aber die Kehle war ihm zugeschnürt. Einen
Augenblick stand es starr. Dann flog es wie der Wind an dem heulenden
Kettenhund vorbei die steinerne Treppe hinauf. die Tür war offen. Das
Peterlein stürzte hinein. Ein heftiger Luftzug kam ihm entgegen und
klirrend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Vom Boden herunter den Gang her wirbelte schwarzer Rauch. Das Peterlein zog die
Stiege hinauf. Durch den Speicher sauste der Wind und jagte die Flammen auf den
Dielen hin und drückten sie an die Bretterwand; sie quollen aus dem
Winkel, wo das Peterlein vorhin den Weihnachtsbaum angezündet hatte.
Das Peterlein stürzte in die Kammer. Die war schon voller Rauch, und die
Lichter des Weihnachtsbaumes brannten trübrot. Der Dickkopf aber hatte den
Kopf auf die Arme gelegt und schlief.
Ach, wenn der Dickkopf schlief, dann gab's ein Stück!
________________
Adolf Schmitthenner 1854 - 1907
________________
Weihnachten.mobi ist eine Textsammlung.
Aktueller Seitenbereich: Weihnachtsgeschichte - Der Dickkopf und das Peterlein
________________
copyright by Camo & Pfeiffer