Der Dickkopf und das Peterlein ( 3 )
Überraschend war die Wirkung dieser Worte. Eine Weile war es still; dann
aber brach das Peterlein in ein unbändiges Gelächter aus. Die anderen
lachten mit, aber hörten bald wieder auf, denn sie wussten keinen Grund.
Dem Peterlein aber erschien die Vorstellung von der unsterblichen Seele des
Dickkopfs so komisch, dass er aus tiefstem Herzen lachen musste. Der ganze
Mensch war erschüttert. Hilflos schaute er den Lehrer an mit Augen, die
ihn um Vergebung baten, und mühsam brachte er heraus: "Ich . . . muss
. . . halt . . . so arg . . . lachen!" "Das seh' ich," sagte der
Pfarrer, und in diesem Augenblick bemerkte er zum ersten Male, wie fein und
schier geistreich die Lippen des Knaben geformt waren. "Genug jetzt!"
sagte er und strich dem Jungen, dessen Vater an den Pranger gestellt worden
war, über den glattgeschorenen Schädel; dabei sah er aber das
Peterlein an, dessen Augen auf einmal mit großem Blick wie ins Unendliche
hinausschauten.
"Genug jetzt, Kinder! Singt mir noch ein Weihnachtslied!"
Die Knaben schnellten von ihren Sitzen. Nur das Peterlein erhob sich langsam.
Er atmete aus der Tiefe, wie Kinder tun, wenn ein Gedanke sie bedrängt;
dann schlug er sein Gesangbuch auf.
"Ich möchte wissen, was in seiner Seele vorgeht," sagte der
Geistliche zu sich, als er nach Hause ging. Dabei dachte er aber nicht an die
unsterbliche Seele des Dickkopf, sondern nur an das Peterlein.
Als das Peterlein von der Konfirmandenstunde nach Hause ging, begegnete ihm der
Dickkopf. Den Schädel vorgestreckt gleich einem Mauerbrecher und mit den
weitabstehenden Armen schlegelnd, schob er die Gasse herab. Das Peterlein ging
ihm langsam entgegen und schaute ihn mit seinen großen, freundlichen
Augen an. "Guten Tag, Dickkopf!" rief es ihm zu, als es ihm auswich.
Der Dickkopf sagte etwas, das klang wie rm!, blieb stehen und wandte sich um.
Da lachte ihm Peterleins Augen entgegen voll goldigen Sonnenscheins, und das
Apfelgesichtchen nickte ihm freundlich zu. Dem Dickkopf war so etwas noch nie
begegnet. Er wusste nicht, was das bedeuten sollte. Wäre sein Kopf nicht
zu dick gewesen, hätte er ihn geschüttelt. So aber begnügte er
sich, noch einmal zu brummen, wandte sich um und ging seines Weges.
Seit dieser Begegnung war zwischen dem Dickkopf und dem Peterlein ein Gespinst
angefangen, und jeder zog einen neuen zarten Faden dazu.
Der Dickkopf stand auf seinem Platz, und wenn die Schulzeit kam, beehrte er die
Hauptstraße mit seinem Rücken und schaute die Gasse hinab, von der
das Peterlein herkam; war die Schulzeit um, so streckte er sich und schaute die
Hauptstraße entlang, bis er Peterleins blaue Jacke entdeckt hatte. Das
Peterlein lachte ihn schon von weitem an, der Dickkopf aber grinste über
sein dickes Gesicht und nickte dem Peterlein freundschaftlicher zu, als er je
einem Prorektor früher zugenickt hatte. Und als ihm gar einmal das
Peterlein am Fuße eines hohen Treppenhauses ein Briefchen aus der Hand
genommen und gesagt hatte: "Ich will dir's schnell hinauftragen, Dickkopf,
o ich weiß, an Fräulein Loni vom Variete" - da fasste der
Dickkopf einen großen Entschluss; und als er am Tage vor dem Fest in der
besten Konditorei der Stadt seine Aufträge als Kommissionär besorgt
hatte, fügte er mit besonderer Eindringlichkeit eine Privatbestellung
hinzu.
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Adolf Schmitthenner 1854 - 1907
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