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  Das Christkindlein ( 4 )
  Vor neun Monaten aber, in der Blatternzeit, hatte der Tod einen Gang durchs Land gemacht und einmal recht notwendig gehabt, zumal im Odenwald, und in vielen Häusern eine Bestellung ausgerichtet, und im Haus des Vetters Weigand hatte er auch an die große Türe geklopft, und sechs Tage und sechs Nächte lang hatten sie den kleinen Christoph gepflegt und bewacht, aber am siebten Tage hatte er fortgemusst mit dem finsteren Boten trotz Jammern, Händeringen und Beten. Seitdem war des Vetters Herz sehr weich geworden, - und die harten Taler lagen ihm jetzt nicht halb so sehr mehr an als ehedem, und dass er je einen Streit gehabt darüber mit dem alten Pfarrer war ihm leid, und dass er die Hand, die dieser, sein alter Freund, ihm dargereicht, Frieden zu schließen, nicht mit beiden Händen ergriffen, und dass es jetzt zu spät dafür war, das wollte ihm schier das Herz abdrücken.
  Wie es nun am 24. Dezember ein gar so heller und schöner Tag ist, und die Luft so frisch und der Weg so hart gefroren, denk er : Ich will einen Gang hinüber nach Eschau tun ins Trauerhaus; dann werden die Leute sagen: Der Vetter will wieder Freundschaft halten mit ihnen, und der verlassenen Frau und den verwaisten Kindern wird`s wohl tun. - Nachdem er den blautuchenen Rock sauber gebürstet und den Dreiecker aufgesetzt und den langen Stab in die Hand genommen, macht er sich auf den Weg, und als er durch die Tannen gekommen und am Neuhof stand und das Dorf mit dem geschieferten Kirchturm vor ihm lag, war`s noch heller Tag. Er sah das Pfarrhaus, wie es sich hoch aus dem blätterlosen Hag emporhob, - manch gute Stunde hatte er dort genossen, als er mit dem Pfarrer noch gut Freund gewesen, - er sah den Gottesacker drüben auf dem Berge unter dem Walde liegen mit der grauen Mauer und dem alten einsamen Torhäuschen, - dort lag ein Mann begraben unter der kalten Erde, der gern im Frieden von ihm geschieden, aber er hat nicht getan nach dem Wort: Sei willfähig deinem Widersacher bald, dieweil du noch mit ihm auf dem Wege bist!
  Wie er so dasteht in Gedanken, hört er einen Schritt nahen; ein Büblein kommt den Pfad herauf, ein Bündlein in der Hand, und scheint ihn nicht zu bemerken, - denn es bleibt von Zeit zu Zeit stehen und schaut auf das Dorf zurück, und wenn es dann wieder zum Weitergehen sich anschickt, fährt`s mit dem Ärmel über die Augen und weint jedes Mal bitterlich.
 
  Wohin, Büblein, sagte der Vetter, wem stehst du zu und warum weinst du so? - Das Büblein erschrickt, als er mit einem Male angerufen wird; wie es aber den Fragenden angesehen hat, fasst sich`s wieder und spricht: Ich bin der Andres! Warum ich so weine, das weiß ich, wem ich aber zustehe und wohin ich gehe, - das weiß ich nicht. Heute ist`s gerade ein Jahr, da hat mich der Pfarrer da drunten in sein Haus aufgenommen als ein armes Bettelkind. In der vorigen Woche ist er gestorben, und heute bin ich wieder ein Bettelkind. Die Bissen sind schmal geworden im Pfarrhaus, die Frau hat selbst Kinder genug und kann mich nicht mehr behalten, - so bin ich heute fortgegangen. Es ist mir wehe geschehen und ihnen auch, als sie mir das Bündlein schnürten, - aber es konnte nicht anders sein, und nun geht mein Weg in die weite Welt. Seht, darum möchte ich mir die Augen aus dem Kopf weinen!
  So, so, sagte der Vetter, der verstorbene Pfarrer hat dich angenommen gehabt, und bist bei ihm gewesen ein ganzes Jahr?
  Ja, der verstorbene Pfarrer! - Und hat mich gar so lieb gehabt, und wenn die andern mich das Bettelkind heißen wollten, hat er mich sein Christkindlein genannt, weil mich der liebe Heiland ihm am Abend vor Christtag beschert hat. Jetzt ist das aber alles aus.
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  Karl Heinrich Caspari 1815 - 1861
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