Der Schnee ( 4 )
Hui! Da flogen sie - hier einer,
da einer. Es war ein großes Vergnügen, ein richtiges, echtes
Wintervergnügen.
Aber das schönste kam noch. Das schönste war ein Schneemann, den die
Kinder aufbauten, gerade vor der alten Laube, als stehe er Schildwache davor.
Es war ein prächtiger Schneemann! Er musste jedem gefallen, und er gefiel
auch allen.
"Ein netter Kamerad, den wir da bekommen haben", sagten die
Zaunpfähle. "Hoffentlich versteht er sich auch auf`s Erzählen,
damit wir ein wenig Unterhaltung haben.
Es wagte aber niemand, den Schneemann anzureden.
Glücklicherweise fing dieser von selbst an.
"Guten Morgen!" sagte er. "Guten Morgen!" antwortete es von
allen Seiten.
"Es ist schönes Wetter heute", sagte der Schneemann; etwas
anderes fiel ihm gerade nicht ein.
"Ja - aber heute nacht hat es geschneit."
"Hm" - machte der Schneemann, "natürlich hat es geschneit -
stände ich sonst hier? - Nein, dann hätte ich sicher mit der Wolke
noch ein gut Stück weiterreisen können und hätte noch viel von
der Welt gesehen."
"Ei", sagten die Sträucher, "Sie haben gewiss schon
schöne Reisen bis hierher gemacht, wollen Sie uns nicht davon
erzählen?"
"Gern", sagte der Schneemann. - Und dann erzählte er. "Ihr
habt doch vorhin die Kinder in ihrem Schlitten fahren sehen? Das war ein
Vergnügen, nicht wahr? Was würden diese Kinder wohl erst für ein
Vergnügen haben, wenn sie in dem Lande wohnten, von dem ich mit der
Schneewolke hergereist bin! Da liegt nämlich das ganze Jahr hindurch
Schnee, so dass man immer Schlitten fahren muss. Das ist lustig, nicht wahr?
Die Schlitten werden aber dort von großen Tieren gezogen, man nennt sie
Renntiere. Die armen Tiere! Der Schnee deckt ihnen oft alles Futter auf der
Erde zu, sie müssen es sich erst unter dem Schnee hervorholen. Ich habe
sie mit ihrem großen Geweihen den Schnee fortschaufeln sehen. In diesem
Lande ist es bitter kalt. Die Leute haben immer diese Pelze an. Ja, wenn man
mit einer Schneewolke reist wie ich, dann bekommt man wirklich viel
Merkwürdigens zu sehen.
Habt ihr vielleicht schon einmal ein Haus aus Schnee gesehen? Nein, aber ich
habe eins gesehen - ja, ja, eine richtige kleine Hütte war`s, mit Fenstern
und Tür und Schornstein! Auch Leute wohnten drin. Meint ihr vielleicht,
die Leute hätten in ihren Schneehütten gefroren? O nein, der Schnee
hielt sie schön warm. Der Schnee macht überhaupt schön warm.
Einmal sah ich einen Mann, der hatte sich seine Nase rot und blau gefroren. Was
glaubt ihr, was er tat? Er hob Schnee von der Erde auf und rieb sich seine Nase
damit, und als er dies ein paar Mal getan hatte, da war die Nase wieder heil,
und der Mann war dem Schnee sehr dankbar dafür.
Ich habe auf meiner Reise noch mehr Leute gesehen, die sich freuten, dass es
geschneit hatte. Da war zum Beispiel ein Mann, der musste in der Nacht durch
den Wald nach Hause gehen. Er hatte aber keine Laterne bei sich und hätte
sich sicher im Walde verloren, wenn nicht der Weg und der ganze Wald voll
Schnee gelegen hätte. Der Schnee machte es so hell, dass der Mann doch
seinen Weg nach Hause fand.
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Sophie Reinheimer 1874 - 1935
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