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  Der Mistelbusch ( 1 )
  Auf dem Felde draußen stand ein wilder Apfelbaum.
  Man darf sich nicht weiter darüber wundern, dass der Apfelbäum wild war. Denn - nun: du wirst ja gleich hören.
  "Herr Apfelbaum - Sie sind aber ein gelungener Kerl! Sie gehen ja mit Mistelbüschen hausieren statt mit Äpfeln! Ha ha ha -," lachten die roten Mohnblumen im Felde.
  "Fein bist du raus - Brüderle," rief nun auch der Kirschbaum von der Allee herüber. "Ich hab' schon gedacht, mein Wirtshaus wär' recht gut besetzt! Aber solche Dauer-Stammgäste wie du - nein - die hat wahrlich nicht jeder anzuweisen. Ha ha ha!"
  Wenn der Apfelbaum gekonnt hätte, so wäre er noch wilder geworden über solche Reden. So sagte er nur erbost: "Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen." Das tat den Mohnblumen nun doch leid. "Erzählen Sie uns doch mal, wie Sie eigentlich zu den Mistelbüschen gekommen sind," baten sie.
  "Ach - ihr wollt ja die Geschichte doch nur weiterklatschen und mich blamieren," sagte der Apfelbaum ärgerlich.
  "Bestimmt nicht!" beteuerten die Mohnblumen. "Wir versprechen Ihnen sogar, die Geschichte wieder zu vergessen. Wir werden den Schlafmohn im Garten um einige Saatkörner bitten. Sie wissen ja: Die haben Zauberkraft und bringen Schlaf und Vergessen."
  Ja, das wusste der Apfelbaum. Aber er traute dem Frieden doch nicht recht. Weil er sich jedoch - wie alle Wirtsleute - gern unterhielt, so fing er doch an zu erzählen.
  "Mein ganzes Unglück verdanke ich den Drosseln," fing er an. "Erdrosseln könnt' ich sie für ihre Unverschämtheit! Kehren da eines Tages bei mir ein - pischpeln mir leise etwas ins Ohr, ich nicke - und nachher habe ich die Bescherung! - Ich merkte wohl, dass in meinem Hause irgend etwas nicht geheuer war. Dass aus meinen Vorratskammern allerlei gute, nahrhafte Dinge verschwanden und dass auch hinter meinen Saftfässern jemand her war. Aber ich wusste lange nicht, wer.
  Da - eines Tages - sehe ich ein paar Wurzelbeinchen. Und nun wusste ich, was die Glocke geschlagen hatte!"
  "Was hatte sie denn geschlagen?" fragten neugierig die Mohnblumen, als der Baum ein Weilchen im Erzählen innehielt.
  "Matthäi am letzten!" schrie der Apfelbaum nun wieder ganz wild. "Mistelgäste waren es, die sich bei mir eingenistet hatten! Die Vögel hatten sie hinterrücks bei mir abgesetzt. Und wer Misteln - das Schmarotzerzeug, das elende - kennt, der weiß, dass er nix zu lachen hat. Wachsen tut es - und saugt einem aus - - -"
  "Schließen Sie doch Ihre Speisekammer zu - und verstopfen Sie Ihre Fässer," schlugen die Mohnblumen vor.
  "Tät' mir nichts nützen. Unkraut vergeht nicht! Die Gesellschaft ist zäh wie Leder und kommt auch monatelang ohne Nahrung herum. In meinem großen Hause aber kann ich auch nicht immer alles hinter Schloss und Riegel halten."
  "So bitten Sie den Herbstwind, dass er sie hinauswirft. Oder den Winter, dass er sie erfrieren lässt."
  "Nützt alles nichts - Unkraut vergeht nicht!" sagte der Apfelbaum traurig.
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  Sophie Reinheimer, 1874 - 1935
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