Nun ist Traurigkeit etwas, das Kinder nicht gut und Sonnenstrahlkinder noch
viel weniger gut sehen können. Und ein paar Sonnenstrahlkinder hatten die
Geschichte des Baumes mit angehört. Sie streichelten nun den traurigen
wilden Apfelbaum, küssten ihn zärtlich und sagten: "Die
Mistelbüsche sehen wirklich ganz hübsch aus. Sie haben so feine,
grüne Blätter. Und wie schön erst im Herbst ihre Früchte
aussehn! wie große, weiße Perlen."
Über diesen Trost musste der Apfelbaum beinahe lachen; er sagte aber nur:
"Lasst gut sein - ist schon gut."
Da beschlossen die Sonnenstrahlen, ihre Mutter zu fragen, ob sie nicht einen
besseren Trost wisse. Und schon am nächsten Tage kamen sie wieder
freudestrahlend angetanzt.
"Apfelbaum - lieber wilder Apfelbaum - Mutter hat gesagt, du sollst nur
ganz, ganz still sein! Du wüßtest gar nicht, was du für
vornehme Leute bei dir wohnen hast. Heilige seien es sogar! Die
Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßväter der Menschen hier haben sie heilig
gesprochen. Und in Engelland würden sie an Weihnachten ebenso verehrt, wie
bei uns der Tannenbaum."
"In Engelland - bei euch droben?" fragte der Baum ungläubig.
"Nein, es muss auch hier unten auf der Erde ein Engelland geben. Aber
Mutter sagt, du sollst froh sein, dass du die Heiligen bewirten darfst!"
Der Apfelbaum wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Frau Sonne sprach
doch gewöhnlich die Wahrheit. Aber diese Plagegeister von Gästen:
Heilige? Und Engelland?
"Noch nie gehört!" brummelte er.
Nun ist es jedoch komisch: hörst du heute ein Wort, das du noch nie
gehört hast - gleich heute oder morgen oder übermorgen wirst du es
noch einmal hören.
So ging es auch dem Apfelbaum. Schon am andern Nachmittag kam ein Trupp
Wandervögel über das Feld daher gezogen. Mit Gitarren und Mandolinen
- mit Sing und Sang.
"Dort - ist das nicht ein wilder Apfelbaum - mit Mistelbüschen
drauf?" rief plötzlich eines von den Vogelweibchen; es war so bunt
angezogen wie ein Distelfink.
"Heifsassa!" sangen gleich die Männchen, und dann blieben alle
unter dem Baume stehn und brachten ihm ein Ständchen:
"Der Mistelbusch - der Mistelbusch
Ist ein Schmarotzer nur.
Und dennoch, lieber Apfelbaum:
Moch' fleißig ihm die Cour!
In Engeland - in Engeland
Ist er gar sehr begehrt;
Zur Weihnachtszeit - zur Weihnachtszeit
Wird unter ihm beschert
Und was beschert der Mistelbusch?
Ei - - Küsschen lieb und süß!
Ich weiß es doch - ich weiß es doch -
Ich weiß es ganz gewiss!
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