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  Der Mistelbusch ( 2 )
  Nun ist Traurigkeit etwas, das Kinder nicht gut und Sonnenstrahlkinder noch viel weniger gut sehen können. Und ein paar Sonnenstrahlkinder hatten die Geschichte des Baumes mit angehört. Sie streichelten nun den traurigen wilden Apfelbaum, küssten ihn zärtlich und sagten: "Die Mistelbüsche sehen wirklich ganz hübsch aus. Sie haben so feine, grüne Blätter. Und wie schön erst im Herbst ihre Früchte aussehn! wie große, weiße Perlen."
  Über diesen Trost musste der Apfelbaum beinahe lachen; er sagte aber nur: "Lasst gut sein - ist schon gut."
  Da beschlossen die Sonnenstrahlen, ihre Mutter zu fragen, ob sie nicht einen besseren Trost wisse. Und schon am nächsten Tage kamen sie wieder freudestrahlend angetanzt.
  "Apfelbaum - lieber wilder Apfelbaum - Mutter hat gesagt, du sollst nur ganz, ganz still sein! Du wüßtest gar nicht, was du für vornehme Leute bei dir wohnen hast. Heilige seien es sogar! Die Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßväter der Menschen hier haben sie heilig gesprochen. Und in Engelland würden sie an Weihnachten ebenso verehrt, wie bei uns der Tannenbaum."
  "In Engelland - bei euch droben?" fragte der Baum ungläubig.
  "Nein, es muss auch hier unten auf der Erde ein Engelland geben. Aber Mutter sagt, du sollst froh sein, dass du die Heiligen bewirten darfst!"
  Der Apfelbaum wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Frau Sonne sprach doch gewöhnlich die Wahrheit. Aber diese Plagegeister von Gästen: Heilige? Und Engelland?
  "Noch nie gehört!" brummelte er.
  Nun ist es jedoch komisch: hörst du heute ein Wort, das du noch nie gehört hast - gleich heute oder morgen oder übermorgen wirst du es noch einmal hören.
  So ging es auch dem Apfelbaum. Schon am andern Nachmittag kam ein Trupp Wandervögel über das Feld daher gezogen. Mit Gitarren und Mandolinen - mit Sing und Sang.
  "Dort - ist das nicht ein wilder Apfelbaum - mit Mistelbüschen drauf?" rief plötzlich eines von den Vogelweibchen; es war so bunt angezogen wie ein Distelfink.
  "Heifsassa!" sangen gleich die Männchen, und dann blieben alle unter dem Baume stehn und brachten ihm ein Ständchen:
 
  "Der Mistelbusch - der Mistelbusch
  Ist ein Schmarotzer nur.
  Und dennoch, lieber Apfelbaum:
  Moch' fleißig ihm die Cour!
 
  In Engeland - in Engeland
  Ist er gar sehr begehrt;
  Zur Weihnachtszeit - zur Weihnachtszeit
  Wird unter ihm beschert
 
  Und was beschert der Mistelbusch?
  Ei - - Küsschen lieb und süß!
  Ich weiß es doch - ich weiß es doch -
  Ich weiß es ganz gewiss!
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  Sophie Reinheimer, 1874 - 1935
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