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  Der Mistelbusch ( 3 )
  Wir sind zwar nicht in Engeland,
  Doch sehn wir gar nicht ein:
  Warum darf unterm Mistelbusch
  Nicht hier ein Kuss auch sein?
 
  Darum, du lieber Apfelbaum:
  Vertreib die Mistel nicht!
  Bedenke, dass manch Engelgruß
  Mit ihr von dannen fliegt!"
 
  "Engelgruß?" dachte der Baum. "So. Der Kuss ist also ein Gruß aus dem Engelland!" Und dabei gedachte der wilde Apfelbaum der warmen, zärtlichen Küsschen der Sonnenstrahlen.
  Das Lied gefiel ihm, und er nahm sich vor, in Zukunft nicht mehr so schrecklich über seine Mistelgäste zu schelten. - - -
  Inzwischen war es Herbst geworden. Vögel kamen, die brachten dem Baum keine Ständchen, sie machten sich nur über einige von den schönen, weißen, klebrigen Mistelbeeren her. So geht's in der Welt - einer zehrt immer vom andern und sagt meist nicht einmal "danke schön".
  "Wünsche wohl gespeist zu haben. Und - hm! hm!" lachte der wilde Apfelbaum - "wohl bekomm's den Nachbarn!"
  Die Vögel - Drosseln, Amseln waren es - wussten bestimmt nicht, dass man aus den Beeren der Mistel Vogelleim macht! Sonst hätten sie sich sicher gehütet, ihre klebrig schmutzigen Schnäbel just an den Baumzweigen abzuputzen und so die klebrigen Samen dort anzupflanzen! -
  Es ist wahr: Die Herbststürme machten den Mistelbüschen gar nichts aus! Sie wussten ihre Blätter je nach ihm zu drehen wie die Wetterfahnen.
  Auch die Kälte nachher schadete ihnen nichts. Aber! "Unkraut vergeht nicht" wagte der Apfelbaum doch nicht mehr recht zu sagen.
  Es lag jetzt ein seltsames Träumen über diesen Gästen! Besonders an kalten Nebelabenden konnte man es gewahren. Nie ein schwacher, goldner Lichtschein lag es da über den Mistelbüschen. Vierzehn Tage vor Weihnachten kamen zwei Männer von der Allee herüber; die trugen eine Leiter, Körbe und ein scharfes Messer. Ritschratsch - war der Apfelbaumwirt seine lästigen Gäste los.
  "Ob sie nun nach Engelland kommen?" dachte er.
  Aber die Mistelbüsche kamen nicht nach Engelland - sie kamen in eine große, deutsche Stadt. Dort wurden sie in ein Körbchen gesteckt, neben rote Stechpalmen, und von einer Frau an einer Straßenecke zum Verkauf angeboten. Wie war ihnen - die bisher so ruhig und einsam auf freiem Felde gewohnt hatten - bei dem wüsten Straßenlärm zumute!
  "Mistelzweige - wer kauft schöne Mistelzweige und Stechpalmen?" rief die Frau und bot den Vorübergehenden ihre Ware an. Die musste wohl gefallen, denn schon bevor der Abend kam, war das Körbchen der Frau geleert.
  Die Mistelzweige und -büsche waren nun in viele Häuser verstreut.
  "Wie eigenartig vornehm sie doch aussehn!" sagte eine Dame. "Diese feingrünen, schlanken Blätter - die mattschimmernden weißen Beeren! Nun ja; sie sind ja auch in einer Krone geboren! Beinahe sehen sie selbst aus wie eine gezackte kleine Krone. Die weißen Beeren sind die Perlen darin."
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  Sophie Reinheimer, 1874 - 1935
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