Weihnachten bei Theodor Storm ( 1 )
Unser Vater war ein echter, rechter Weihnachtsmann, er wusste jedes Fest erst
recht zu einem Feste zu gestalten. Den ganzen Zauber der Weihnacht zu
übertragen. Und so feiern auch wir, seine Kinder, unsere Weihnachtsfeste
ganz im sinne unseres Vaters. Der Weihnachtsbaum wird genau so geschmückt,
wie er einst ihm geschmückt wurde, die Kuchen nach den althergebrachten
Familienrezepten gebacken, wie sie schon sein Kinderherz entzückten. Wenn
das alte liebe Weihnachtsfest wieder naht und ich mich in eine rechte
Weihnachtsstimmung versetzen will, setze ich mich in der Dämmerung in
einen tiefen Lehnstuhl. Von draußen wirft die Laterne traulich ein mattes
Licht durch die Fenster. Ich schließe die Augen, und bald bin ich daheim
in unserm großen, alten Hause in Husum in der Wasserreihe. Meine
Geschwister und ich, wir sind wieder Kinder.
Es wird wieder einmal Weihnachten, und wir Kinder leben in goldenen
Träumen, bis das im Leben so seltene Wunder eintritt, dass diese
Träume in dem brennenden Weihnachtsbaum verkörpert vor uns stehen.
Draußen auf den stillen Wegen des Gartens, den Sträuchern und alten
Bäumen, liegt glitzernder Schnee. Im ganzen Hause duftet es nach Tannen
und braunen Weihnachtskuchen. Feststimmung guckt schon aus allen Ecken, wie
eine Ahnung von Weihnachtsabend.
Es weihnachtet sehr - die Heimlichkeiten wachsen mit jedem Tage. Vater
schließt sich immer häufiger in seiner Studierstube ein, und wir
Kinder, die wir um die Zeit der heiligen Weihnacht gerne an den Türen
lauschen, hören ihn die Tür des Nussbaumschrankes öffnen und
leise wieder schließen. Dieser Nussbaumschrank birgt in seinem Innern
alle Geheimnisse und Wunder fürs Weihnachtsfest. In einem unbewachten
Augenblick treten wir doch ins Zimmer. Vater schließt schnell den
Schrank, dann nimmt er uns in seine Arme, macht ein geheimnisvolles Gesicht,
sieht uns innig an und sagt mit leiser Stimme nur das eine Wort
"Weihnachten".
In der Essstube ist großes Kuchenbacken. Unsere Mutter und die
Mädchen stehen mit aufgekrempelten Ärmeln. Sie rollen weißen
und braunen Kuchenteig aus, der in großen Steintöpfen um den Ofen
herum steht. Große schwarze Platten stehen bereit, die verschieden
geformten Kuchen aufzunehmen, die dann von den Mädchen zum Bäcker
getragen werden.
Auch wir Kinder haben unseren Teil bekommen. Wir stehen an unserem kleinen
Kindertisch, ein weißes Nachthemd über unsere Kleider, ein
gezipfeltes Taschentuch auf dem Kopfe. Jedes von uns hat ein Klümpchen
weißen und braunen Kuchenteig vor sich, der bald unter unseren
geschäftigen kleinen Händen in die wunderbarsten Dinge gewandelt
wird. Die Tür öffnet sich, und unser Vater tritt mit dem
freundlichsten Leuchten seiner blauen Poetenaugen ins Zimmer.
"Ihr seid ja alle gewaltig in der Fahrt", neckt er und bewundert
unsere herrlichen Schöpfungen, von denen man meistens nicht zu erkennen
vermag, was sie vorstellen sollen. Es beginnt nun ein heimliches Geflüster
zwischen Vater und uns, und es gelingt uns, Vater einige kleine
Weihnachtsüberraschungen verraten zu lassen, die unsere Freude am
Weihnachtsabend keineswegs verringert.
"Morgen wollen wir vergolden und Netze schneiden", spricht der Vater
verheißungsvoll.
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Gertrud Storm 1865 - 1936
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