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  Marthe und ihre Uhr ( 2 )
  Ihr Spinnrad, ihr braun geschnitzter Lehnstuhl waren gar sonderbare Dinge, die oft die eigentümlichsten Grillen hatten; vorzüglich war dies aber der Fall mit einer altmodischen Stutzuhr, die ihr verstorbener Vater vor über fünfzig Jahren, auch damals schon als ein uraltes Stück, auf dem Trödelmarkt zu Amsterdam gekauft hatte. Das Ding sah freilich seltsam genug aus: zwei Meerweiber, aus Blech geschnitten und dann übermalt, lehnten zu jeder Seite ihr langhaariges Antlitz an das vergilbte Zifferblatt; die schuppigen Fischleiber, die von einstiger Vergoldung zeugten, umschlossen dasselbe nach unten zu; die Weiser schienen dem Schwanze eines Skorpions nachgebildet zu sein. Vermutlich war das Räderwerk durch langen Gebrauch verschliffen, denn der Perpendikelschlag war hart und ungleich, und die Gewichte schossen zuweilen mehrere Zoll mit einem Mal hinunter. - Diese Uhr war die beredteste Gesellschaft ihrer Besitzerin, sie mischte sich aber auch in alle Gedanken. Wenn Marthe in ein Hinbrüten über ihre Einsamkeit verfallen wollte, dann ging der Perpendikel tick, tack! tick, Tack! immer härter, immer eindringlicher; er ließ ihr keine Ruh', er schlug immer mitten in ihre Gedanken hinein. Endlich musste sie aufstehen; - da schien die Sonne so warm in die Fensterscheiben, die Nelken auf dem Fensterbrett dufteten so süß; draußen schossen die Schwalben singend durch den Himmel. Sie musste wieder fröhlich sein, die Welt um sie her war gar zu freundlich.
  Die Uhr hatte aber auch wirklich ihren eigenen Kopf, sie war alt geworden und kehrte sich nicht mehr so gar viel an die neue Zeit, daher schlug sie oft sechs, wenn sie zwölf schlagen sollte, und ein andermal, um es wieder gutzumachen, wollte sie nicht aufhören zu schlagen, bis Marthe das Schlaglot von der Kette nahm. Das Wunderlichste war, dass sie zuweilen gar nicht dazu kommen konnte; dann schnurrte und schnurrte es zwischen den Rädern, aber der Hammer wollte nicht ausholen; und das geschah mitten in der Nacht. Marthe wurde jedes Mal wach; und mochte es im klingendsten Winter und in der dunkelsten Nacht sein, sie stand auf und ruhte nicht, bis sie die alte Uhr aus ihren Nöten erlöst hatte. Dann ging sie wieder zu Bette und dachte sich allerlei, warum die Uhr sie wohl geweckt habe, und fragte sich, ob sie in ihrem Tagewerk auch etwas vergessen, ob sie es auch mit guten Gedanken beschlossen habe.
  Nun war es Weihnachten. Den Christabend, da ein übermäßiger Schneefall mir den Weg zur Heimat versperrte, hatte ich in einer befreundeten, kinderreichen Familie zugebracht; der Tannenbaum hatte gebrannt, dir Kinder waren jubelnd in die lang verschlossene Weihnachtstube gestürzt, nachher hatten wir die unerlässlichen Karpfen gegessen und Punsch dazu getrunken; nichts von der herkömmlichen Feierlichkeit war versäumt worden. - Am andern Morgen trat ich zu Marthe in die Kammer, um ihr den gebräuchlichen Glückwunsch zum Feste abzustatten. Sie saß mit untergestützten Arm am Tische; ihre Arbeit schien längst geruht zu haben.
  "Und wie haben Sie denn gestern Ihren Weihnachtsabend zugebracht?" fragte ich.
  Sie sah zu Boden und antwortete: "Zu Hause."
  "Zu Hause? Und nicht bei Ihren Schwesterkindern?"
  "Ach", sagte sie, "seit meine Mutter gestern vor zehn Jahren hier in diesem Bette starb, bin ich am Weihnachtsabend nicht ausgegangen.
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  Theodor Storm 1817 - 1888
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