Kinderweihnacht ( 2 )
Es war Adventszeit. - Ich hatte eine heißgeliebte Puppe, sie hieß
Adelchen, sie war groß, hatte einen Porzellankopf, himmelblaue Augen und
schwarze, angemalte Locken. Ich liebte sie über alles, und doch plagte
mich einmal die Neugierde, zu erfahren, was "in ihr drin" sei. Ich
teilte diese Sehnsucht meiner kleinen Schwester Elisabeth mit, und eines Tages
fassten wir den ruchlosen Plan, der Sache auf den Grund zu kommen. Wir
entkleideten Adelchen, bohrten und fühlten an ihrem Körper lange
herum, konnten aber nicht ergründen, woraus sie "gemacht" war.
Da ergriff ich eine Schere und schlitzte ihr den Leib auf. Ein Strom von
Sägespänen ergoss sich aus der Wunde. Voller Staunen sahen wir dem
Strom zu, vergrößerten grausam mit den Fingern den Riss und sahen
kaltblütig ihr Leben entströmen. Plötzlich wurde und bange, sie
wurde welk und dünn; wenn wir sie aufsetzen wollten, knickte sie zusammen,
und ihr schwerer Porzellankopf sank ihr vornüber.
Ein großer Schmerz kam über ich, und mein kleines Schwesterchen fing
an zu weinen. In unserer Angst brachten wir unser Opfer zu unserer alten
Wärterin. "Mein Gott, welche Kinder", war ihr
beängstigender Ausruf bei unseren Unarten. Sie führte uns
Schuldbeladene mit dem Opfer, das welk über ihren Arm hing, zu unserer
Mutter, die die Puppe fortnahm, und ich weinte mich abends in den Schlaf vor
Sehnsucht nach der Heißgeliebten, so grausam Ermordeten.
Nach einigen Tagen dachte ich, meine Mutter würde sie uns geheilt
wiedergeben. Als sie aber gar keine Anstalten dazu machte, trieb mich die
heiße Sehnsucht zu der Bitte, Mutter möchte mir doch Adelchen
wiedergeben. "Nein", war die Antwort, "das habt ihr nicht
verdient, das Christkindchen hat die Puppe geholt, wird sie zu Weihnachten
reparieren und sie wohl den armen Kindern bringen." Traurig hörte ich
den Bescheid und dachte, ich hätte diese Strafe wohl verdient; nur dass
Adelchen für armen Kinder da sein sollte, konnte ich nicht verwinden.
Überhaupt, die "armen Kinder" waren vor Weihnachten ein Stein
des Anstoßes für mich, über den ich oft stolperte. Immer musste
man ihnen was weggeben von seinen Sachen! Meine Kleider schenkte ich gern fort,
auch meine sonstigen Spielsachen; nur wenn es eine Puppe wegzugeben galt,
zerriss es mit das Herz. Dazu sagte Mutter noch, wenn man den Armen nicht froh
und gern gäbe, so trüge das Geben keinen Segen. - Und nun war
Weihnachten da! Trotz Adelchens Verlust waren die Tage vorher wie sonst, voll
herrlichster Erwartung, voll kühnster Träume, glühendster
Wünsche, auf deren Erfüllung man mit Zittern wartete.
Ich hatte für meine Eltern ein Gedicht auswendig gelernt, dessen ersten
Vers ich mit mühsam steifen Buchstaben auf ein "Wunschpapier"
geschrieben hatte. Dieses Wunschpapier zu Weihnachten einzukaufen, war ein
herrliches Erlebnis. Es war ein feierlicher Augenblick, wo wir unter den
Flügeln unserer alten Wärterin in den Laden gingen, jedes sein
Fünfzehnkopekenstück in der Hand. Wir wählten in der
größten Aufregung und konnten uns immer nicht zum Einkauf
entschließen, bis unsere Wärterin für uns endlich die
Entscheidung traf. Mit unseren Wunschpapieren in den Händen, mit
klopfendem Herzen standen wir dann hinter der Tür des Weihnachtszimmers.
Nun öffnete sie sich weit; Mutter spielte den Choral, Vater stand neben
ihr am Flügel mit dem Neuen Testament in der Hand, aus dem wunderbare
Buchzeichen an bunten Bändern heraushingen.
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Monika Hunnius 1858 - 1934
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