Weihnachten.mobi

  Frau Ursulas Bescherung ( 1 )
  Es war ein altmodischer Winter, draußen auf Weg und Steg, Feldern und Bergen alles verschneit bis auf die schwarzen Tannen, von denen der scharfe Wind den Schnee schon wieder heruntergeschüttelt.
  Es war gerade der heilige Abend und dunkelte bereits.
  Da begannen von den Kirchtürmen der Stadt die Glocken den Festtag einzuläuten, eine nach der andern und dann alle zusammen, dass es lieblich und erhebend klang und man, wenn man auch gar nicht wollte, an die gnadenreiche Weihnacht denken musste und an das süße Christkind und wie wunderbar der alte Segen alljährlich wieder neu werde. Leute aus den Dörfern der Umgegend waren noch auf der Straße, sie hatten gearbeitet in der Stadt drin, nun eilten sie, schneller als an andern Abenden, über den knarrenden Schnee heimzu. Mancher davon trug noch etwas Eingewickeltes unterm Arm, die Weihnachtsgeschenke für Weib und Kinder. Die meisten waren schon vorbei, und aus der Dunkelheit tauchte hin und wieder, da und dort von einem Bauernhofe oder aus einem der zerstreuten Häuslein, ein Licht auf wie ein Sternlein.
  Ganz zuletzt kam noch ein armes Weiblein, und das war die Frau Ursula, die in der Stadt um Taglohn mit Fegen und Reinigen auf den morgenden Festtag hin nachgeholfen hatte. Sie wohnte eine gute halbe Stunde weit weg in dem Dorfe und hatte das lange Jahr hindurch den Weg nach der Stadt bei allem Wetter manch liebes Mal gemessen, am frühen Morgen hin, am späten Abend wieder zurück. Wie mühsam das war, sie fühlte sich darum nicht unglücklich, im Gegenteil - nur um so vergnügter sah sie aus, wenn es brav Bestellungen gab; verdiente doch, namentlich zur Winterzeit, ihr Mann mit seiner Maurerarbeit gar wenig, während die drei Kinder im Winter wie im Sommer gleichen Appetit hatten, ja die Kälte bei ihnen noch zu zehren schien. - Um dieser Kinder willen, und damit die Haushaltung im ordentlichen Gange bliebe und sie niemanden beschwerlich fallen müssten, scheute dann Frau Ursula weder mühsame, raue Arbeit noch krumme Finger, wenn`s Stein und Bein fror. -
  Heute aber ging sie nicht froh, sie ließ den Kopf hängen. Wohl trug sie einen hübschen, wohlverdienten Batzen im Sacke heim; sogar einen lebkuchenen Reiter, ein paar Stücklein Gerstenzucker, einen Bogen mit Bildern und einige kleine rote Äpfelchen hatte sie gekauft. Alles zur Weihnachtsbescherung für ihre Kleinen. Aber Frau Ursula hatte einen großen Fehler begangen: sie hatte zu lange jene Christbäume angesehen, welche bei ihren reichen Kunden gerüstet wurden und die sich beinahe beugten unter der Last von all dem bunten Zuckerzeug, den kostbaren Spielwaren und der Menge sonstiger Herrlichkeiten, wie man sie nur zu ersinnen vermochte.
  Bis jetzt war die arme Frau mit ihrem Lose zufrieden gewesen. Als sie aber bei den Reichen all den Reichtum an Gaben ausgebreitet sah und an die Freude denken musste, welche damit den Stadtkindern gleichsam im Übermaße gewährt wurde, da waren der Mutter natürlich auch die eigenen Kinder eingefallen. Je länger sie nun aber auf die Pracht und die Fülle hinsah, umso mehr verlor sie sich darin und legte unvermerkt den Maßstab davon an jene Bescherung, die sie nach Hause trug, um sie ihren Kindern zu schenken. Hätten die Schätze eines Königreiches vor ihr ausgebreitet gelegen, sie würde nicht so missgestimmt, ja neidisch darauf geworden sein, wie sie es hier war über diese Spielzeuge und die Zuckerherrlichkeiten; denn nicht an sich dachte sie ja, sondern einzig an ihre Kinder.
________________
weiter - 1 2 3
 
  Theodor Meyer-Merian 1818 - 1867
________________
zurück

Weihnachten.mobiWeihnachtsmärchen
Weihnachtsgeschic...
Weihnachtsgedichte
Weihnachtslieder

Weihnachtssprüche
Weihnachtsgrüße

Mobi - Seiten

Weihnachten.mobi ist eine Textsammlung. Aktueller Seitenbereich: Weihnachtsgeschichte - Frau Ursulas Bescherung

Impressum
________________
copyright by Camo & Pfeiffer