Frau Ursulas Bescherung ( 2 )
Es tat ihr heimlich weh, dass sie zur Weihnacht mit so ärmlicher
Gabe, nur mit einem Lebkuchen, ein paar schlecht gemalten Bogen und
gewöhnlichen Äpfel sollten abgefunden werden, indessen eine Menge
Herrlichkeiten, die ihr Mareili, ihren Fritz und den kleinen Xaveri in den
Himmel versetzt hätten, hier in der Stadt unter der übrigen Masse gar
nicht einmal bemerkt würden. -
Mit dieser Verstimmung im mütterlichen Herzen und dem kleinen
Päcklein dürftiger Weihnachtsherrlichkeiten im Korbe schritt Frau
Ursula durch die Dämmerung ihrer ärmlichen Wohnung zu. Sie wurde fast
verstimmter, als ihre Kinder sich freudig um die Mutter drängten und den
Korb beguckten, weil sie wohl vermuteten, das heilige Weihnachtskindlein
könnte ihnen was darin zugeschickt haben. Ihn zu öffnen, wagte
freilich keines, und so blieb denn der bedeutsame Korb ruhig auf dem Schranke
stehen, wohin er gleich gestellt worden. Erst nach der Suppe, die nun gekocht
und gegessen wurde, und nachdem die Kinder in die Nebenkammer zu Bette
gegangen, schritt Frau Ursula daran, das magere, in einen alten Gartentopf
gepflanzte Tannenbäumlein mit den wenigen Gaben zu behängen: alles an
die äußeren Ästlein, damit es doch ein wenig etwas vorstelle.
Als jedes hing und die zwei neuen Taschentüchlein, die das Mareili noch
beschert bekam, um den Fuß des Baumes ziemlich breit hingelegt worden,
wurden zum Schluss noch etliche Kerzlein an die Zweige geklebt.
Während dieser Arbeit hatte sich das fast bittere Gefühl in ein mehr
wehmütiges und in ein Paar feuchte Augen aufgelöst; dann legte sich
die gute Frau zu Bette, müde an Leib und Seele, um Not und Sorgen zu
verschlafen.
Als Frau Ursula vor Mitternacht erwachte, leise aufstand und sich ankleidete
und die Kerzlein anzündete, da sah ihr Gesicht noch recht verzagt und
kleinmütig aus und blickte mehr traurig als heiter auf die Lichtlein,
welche die dürftige Bescherung recht sichtbar machten. Nur die Besorgnis,
die kurzen Lichtstümpflein möchten unnütz verbrennen,
überwand ein längeres Zögern und ließ sie rasch die
Kleinen wecken. - Mareili sprang als erste aus dem Bette, war es doch schon
eine Weile wach und hatte nur nicht dergleichen getan, sondern nur verstohlen
geblinzelt. Bald war aller Schlaf aus den Äuglein gerieben und helle
Freude dafür darin angezündet. - Wie schön waren doch die
Lichtlein in den grünen Zweigen! Wie appetitlich lachten die Äpfel
mit ihren roten Backen! Und dann der köstliche rote und weiße
Gerstenzucker, der an den Fäden dazwischen hing! Und vor allem das
Hauptstück, der große Lebkuchenreiter mit vergoldetem Hut. Und dies
alles vom lieben Christkindlein gebracht! -
Mareili konnte beinah den Blick nicht mehr wenden von den zwei rotgestreiften
Taschentüchlein und ward nicht wenig stolz darauf, dass es die nun selber
säumen solle. Fast wie die Äpfel so rote Bäcklein bekamen die
Kinder vor lauter Eifer und Lust an ihrer Bescherung, und in den bloßen
Hemdlein umherhüpfend, fragten sie die Mutter einmal ums andere, ob das
Christkind das alles hergebracht? oder machten Plan über Plan, was sie mit
jedem Stücklein besonders anfangen, wie sie es teilen wollten, und wer
zuerst abbeißen dürfe an dieser und jener Süßigkeit.
Frau Ursula, die anfangs etwas kleinlaut daneben gestanden und sich zur
Heiterkeit gezwungen, um die der andern nicht zu verderben, sah sich bald in
die allgemeine Freude hineingezogen, sie dachte des armen Gottessohnes im
Stalle zu Bethlehem, sie wusste nicht wie?
________________
Theodor Meyer-Merian 1818 - 1867
________________
Weihnachten.mobi ist eine Textsammlung.
Aktueller Seitenbereich: Weihnachtsgeschichte - Frau Ursulas Bescherung
________________
copyright by Camo & Pfeiffer