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  Durch Nebel zur Klarheit ( 2 )
  "Ja, in acht Tagen", lautete die kurze Antwort. "Dann ist mein Geburtstag; könntest du mir nicht dann ein Gesangbuch schenken? Ich möchte auch Geburtstag feiern wie andere. Mutter, warum feiert man meinen Geburtstag nicht?" Die Stimme des Knaben ward immer dringlicher und bittender, je mehr er die Blicke der Brüder groß und verwundert auf sich ruhen fühlte. Er schwieg, und es entstand eine Stille. Als die Mutter endlich den Mund öffnen wollte, ertönte schon Vaters Stimme scharf und strenge: "Was, deinen Geburtstag sollte man feiern? Nein, den feiern wir nicht, dazu haben wir keine Ursache!" Franz schaute ganz erschrocken auf. Hatte er etwas Böses gesagt? Warum machen die Buben so sonderbare Gesichter? Und warum tönte des Vaters Stimme so ernst? Sein kleines Herz krampfte sich ängstlich zusammen. Er hatte keine Ahnung, dass er mit seiner Frage einen wunden Punkt des Hauses, über den seit Jahren die Decke des Schweigens lag, berührt hatte. Vater und Mutter waren eigentlich nicht Vater und Mutter für ihn; man hatte ihn nur in dem Glauben erzogen. Der eigene Vater war weit fortgegangen nach Amerika, die Mutter diente in einer großen Stadt. Sie durfte zu den Eltern nicht mehr kommen. Ihren Jungen wollten sie aufziehen wie einen eigenen; das arme Würmlein dauerte sie als es eines Tages schmal und bleich vor ihrer Tür lag; aber erst wenn er erwachsen sein würde, sollte er erfahren, wo seine Mutter sei. Und nun sollte der Vater seinen Geburtstag feiern, den Tag, der ihm Tränen und Weh gekostet, der ihm die Tochter für immer vom Herzen gerissen! Als die Mutter den Tisch abdeckte und Franz trübselig an ihr vorbeischlich, strich sie ihm liebkosend über den blonden Krauskopf und sagte: "Nimm dir's nicht so zu Herzen, was der Vater sagte. Er meint's nicht böse. Die Schmerzen machen ihn mürrisch!"
  Martini war ungefeiert vorübergegangen. Das Kaninchen hatte sich nicht verkaufen lassen, deshalb war auch kein Gesangbuch gekauft worden, und die Sehnsucht danach war in dem kleinen Herzen immer noch brennend geblieben. Aber Franz schwieg und sang nur aus dem Herzen, so oft er allein war. Seiner Stimme zuzuhören, war für jedes Ohr eine Freude, und die Mutter dachte oft im stillen: "So singen sie gewiss im Himmel."
  Der Vater war immer noch krank, ja, er wurde täglich kränker. Nur noch stundenweise stand er aus dem Bett auf und saß auf der warmen Ofenbank. Wenn er mit der Mutter allein war, ward er leicht wehmütig und sprach dann vom Sterben. Der Nebel hing immer noch vor dem Fenster und vor dem Herzen, das alte Vertrauen zu Gott war noch nicht recht wiedergekommen.
  Es war vier Tage vor Weihnachten, da stellte sich Franz neben die Mutter an den Herd auf dem die Holzscheide knackten und sagte: "Du, Mutter, alle Leute feiern Christkindleins Geburtstag, das können wir wohl auch, nicht? Das ist doch wert zu feiern?" Ganz herausfordernd schauten die blauen Augen die Mutter an.
  Diese hatte das Gespräch von damals längst vergessen, wusste also nicht, worauf der Junge anspielte, und sagte deshalb harmlos: "Gewiss ist das Christkind es wert, dass man es feiert. Wir alle sind ja so froh, dass es kam. Aber, ob wir's nun feiern, weiß ich nicht recht. Weißt, der Vater ist gar krank!" "Ja - aber", erwiderte Franz, der diesmal die Schlacht nicht gleich verlieren wollte, "alle Menschen feiern das Christkindlein. Der Lehrer sagt, es sei gekommen für die Reichen und für die Armen; da ist es gewiss auch für die Kranken gekommen! Meinst du nicht? Ach, Mutter, lass mich aus dem Walde ein Bäumlein holen! Du sollst gewiss keine Mühe damit haben; nur ein paar Kerzenstümpfchen musst du mir schenken. Bitte, erlaub' mir's!"
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  Dora Schlatter 1855 - 1915
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