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  Durch Nebel zur Klarheit ( 3 )
  Die Mutter schaute tief in das bittende Gesicht des Jungen und sagte: "Ja." Sie wusste, wie schwer man ein Kinderherz betrübt, wenn man immer "nein" sagt, und Franz musste das Wort oft genug hören. Auch sehnte sich ihr eigen Herz so sehr nach einem Strahl der warmen, treuen Gottesliebe, dass es sich kindlich an die Hoffnung festklammerte, er komme wirklich und gewiss in der Feier der seligen, stillen Christnacht. Sie schaute ganz dankbar und hoffnungsvoll dem fröhlichen Jungen nach, der eifrig mit einer rostigen Axt davonrannte, um den Gedanken so schnell als möglich in die Tat umzusetzen.
 
  Es ist kalte, sternklare Christnacht vom Kirchturm zu Bleikendorf tönen die Glocken herüber, hell, froh, feierlich. Der alte Vater sitzt auf seinem gewohnten Platz ganz allein in der leeren Wohnstube, die von der kleinen Öllampe mühselig erleuchtet wird. Er hört die Glockenklänge durch die Luft schweben, eigen schlagen sie an sein altes Herz und pochen: Mach' auf dem Klang, tu' auf dem Ton, wir feiern Christnacht! Ach, wenn er doch recht feiern könnte! So viele Jahre hat er's froh getan und hat stets dem Herrn Jesus danken können, dass er sein schönes Himmelreich verlassen habe, um den alten sündigen Jörg selig zu machen. Aber heute kann er's nicht. Er hat all die vielen Wochen den Nebel stehen lassen zwischen ihm und dem Herrgott und hat in seinem Herzen gemurrt: "Wenn du mir so böse Schmerzen schickst, dass es in den Gliedern zwickt und zwackt und mir nicht Ruhe lässt im Bett und nicht ruhe auf dem Stuhl, so will ich jetzt grad' auch nicht mehr viel an dich denken." So hat er sich durchgeschlagen durch die bösen Schmerzenstage und Nächte, und weil er mit dem lieben Gott in Feindschaft gelegen, hat ihm niemand geholfen sein Leid zu tragen, und darob ist sein Herz schier erlegen. Jetzt aber sehnt es sich nach dem Gottestrost und dem Vaterherzen; er hätte gern die Arme ausgestreckt, aber es braucht immer lange Zeit, bis ein trotziges Menschenherz sich beugt. Die Glocken tönen immer weiter: "Tu' auf die Tür!" "Warum sie mich wohl so lange allein lassen?" dachte der Vater und blickte sehnsüchtig nach der Tür. Siehe, da öffnete sie sich langsam und sachte, und herein schiebt sich ein Lichterbäumchen, breitästig und strahlend, und schickt seinen fröhlichen, jauchzenden Glanz in die einsame Stube und auf den stillen Mann am Ofen. Ängstlich schielt Franz hinter den Ästen hervor, ob der Vater keinen Protest erhebe gegen das herzige Bäumlein; als aber alles still bleibt, stellt er es auf den Tisch, und auf einen Wink der Mutter, die ihm ebenso ängstlich gefolgt war, hebt er zu singen an, erst leise, dann immer lauter und jubelnder:
  Lobt Gott, ihr Christen, allzu gleich:
  In seinem höchsten Thron,:
  Der heut schließt auf sein Himmelreich:
  Und schenkt uns seinen Sohn.:
  Er kommt aus seines Vaters Schoß:
  Und wird ein Kindlein klein,:
  Er liegt dort elend, nackt und bloß:
  In einem Krippelein.:
  Er wird ein Knecht und ich ein Herr,:
  Das mag ein Wechsel sein!:
  Wie könnte doch wohl freundlicher:
  Dein Herz, o Jesu, sein!:
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  Dora Schlatter 1855 - 1915
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