Lüttjemann und Lüttjerinchen ( 3 )
Als der Wind die roten Blätter von den Bäumen riss, kam eine kleine
Haselmaus und fragte Lüttjemann, ob sie nicht über den Winter neben
dem Herd schlafen dürfe, denn die Holzhauer hätten ihr Häuschen
in der Buche entzwei gemacht. Das erlaubte Lüttjemann ihr, und sie ging
hinter den Herd, rollte sich zusammen und schlief ein.
So wurde es Winter, und wenn Lüttjemann auch noch so traurig war über
sein Alleinsein, einen Weihnachtsbaum wollte er doch haben. Er ging mit seiner
Säge, einem scharfen Heuschreckenbein, in den Wald, wo die ganz kleinen
Tannenbäume stehen, suchte sich den schönsten aus, schnitt ihn ab,
setzte ihn in eine Kastanie und putzte ihn aus mit Lichtern aus Schneckentalg,
Flittergold von Schmetterlingsflügeln und Watteflöckchen von
Altweibersommer, und weil er am Weihnachtsabend nicht allein sein wollte, so
buk er tüchtig Kuchen für seine Gäste und machte dazu ein
großes Feuer, dass die Haselmaus warm und munter wurde.
Sie rieb sich die großen schwarzen Augen, strich sich ihren langen
Schnurrbart gerade, kämmte und putzte sich und sprach:
"Lüttjemann, sei mal still, weil ich dir was sagen will. Mir hat
geträumt in letzter Nacht, Christkind hätt' dir was gebracht. Mitten
dünn, oben gold, und die Augen blau und hold. Wo der Bach den Bogen macht,
es die Pustefrau bewacht."
Lüttjemann riss sein rotes Mützchen ab und schrie: "Hurra,
hurra, das stimmt genau; das passt ganz auf meine Frau."
Aber dann wurde er sehr traurig, denn die Pustefrau war ein Hexe, der jeder
gern aus dem Wege ging, denn, wen sie anpustete, der wurde steif und stumm.
Aber er dachte an seinen Spieß und Bogen und seine Pfeile und ging
geradewegs nach dem Bache.
Da saß die Pustefrau unter einer faulen Eichenwurzel, rieb vor
Boshaftigkeit ihre Spinnenfinger, zwinkerte mit den grünen Augen und rief:
"Lüttjemann, Lüttjemann, wer mich stört den pust' ich an.
Püttjerine deine Braut, schläft schon auf dem Farrenkraut."
Lüttjemann hatte große Angst, als er die Pustefrau so reden
hörte, als er aber das Püttjerinchen sah, die hinter der Hexe auf dem
Farrenbett lag und schlief, in der Mitte dünn, auf dem Kopfe blond und in
den Augen blau, da ging er tapfer auf die Alte los.
Die Hexe machte sich dick wie eine Kröte und pustete. Als sie das erstemal
pustete, lief es Lüttjemann kalt über den Rücken, aber er schoss
doch eine Pfeil ab. Die Hexe aber lachte böse, fing den Pfeil auf und
blies zum zweitenmal. Da lief es Lüttjemann kochend heiß über
den Rücken, aber er schwang seinen Speer und ging auf die Hexe los: Da
machte sie sich doppelt so dick wie vorher, und da dachte Lüttjemann an
den Zaunkönig und rief: "Kleiner Vogel Wunderlich, rette vor der Hexe
mich!" Da schnurrte es in der Luft, der Zaunkönig kam an, flog der
Pustefrau in das Gesicht. Aber wenn er dadurch auch Lüttjemann rettete, er
selber wurde von der Hexe angeblasen, und fiel steif und stumm in den Schnee.
Wieder blies die Hexe sich auf und da fiel Lüttjemann der Igel ein und er
rief: "Gutes Tierchen Pickedich, rette vor der Hexe mich!"
Da trappelte es im Schnee, der Igel kam an, rollte sich zusammen, kugelte sich
auf die Pustefrau und stach sie so, dass sie laut schrie. Aber auch ihn pustete
sie an, und steif und stumm lag er im Schnee.
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Hermann Löns 1866 - 1914
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Aktueller Seitenbereich: Weihnachtsmärchen - Lüttjemann und Lüttjerinchen
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