Chamäleon ( 4 )
Hatte er schon nach jeder Begegnung mit einer der farbigen Männerscharen,
und nachdem er sich bemüht hatte, ihre Farbe widerzuspiegeln,
gefühlt, daß seine Seele immer um ein Stück dabei
einschrumpfte, so war ihm jetzt, als er sämtliche Farben durchgemacht,
gerade so, als wäre von seiner Seele nur die runzelige Haut
zurückgeblieben.
Er kam sich nun trotz seines Glückes so elend, so nichtig vor, daß
er erzürnt die Stirn runzelte, und mit dem Fuße stampfte.
Es war ihm, als blicke er sich höhnisch und verächtlich ins Gesicht,
und wütend wollte er seinem eigenen Ich einen Faustschlag versetzen.
Tränen entperlten seinen Augen, die Sinne schwanden ihm, und er
stürzte zu Boden. Er fühlte, wie das kleine Männchen an ihm
heraufkletterte und ihm etwas aus einer eisigkalten Phiole in den Mund
gießen wollte, aber plötzlich brannten zwei warne Lippen auf dem
bleichen Mund des jungen Mannes.
Diese Lippen träufelten ihm einen milden Atem ein.
Dabei sprachen sie leise:
"Seele! richte Dich auf" Seele, erringe Deine Würde wieder! Dein
Bewußtsein sei dein Glück und Deine Kraft! ..."
Und der junge Mann fühlte die Lebenswärme wieder wohltuend in sein
Innerstes einziehen, und er tat einen tiefen Atemzug, und er schlug die Augen
auf, und er sah, daß seine Mutter, die milde, treue Frau, ihn in den
Armen hielt.
"Julius! Mein Julius!" sagte sie besorgt.
"Gottlob, es ist vorüber!" setzte sie nach einer Weile sanft
lächelnd hinzu, als der junge Mann sich aufrichtete und sie liebend
umarmte.
Am Weihnachtsabend aber war das Kistchen mit dem Springmännlein nicht auf
dem Christbaum.
Der junge Mann hatte es in kleine Stücke zertrümmert.
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Moritz Barach 1818 - 1888
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