Eine Weihnachtsgeschichte ( 3 )
Dort einzelne Gestalten und Gruppen aus Marmor. Weiterhin die Bildergalerie.
Dann führt mich mein Weg in die Tropen. Riesige Wasserbassins, auf denen
sich Lotosblumen schaukeln. Auf dem Grunde des klaren Wassers schaut man die
reichen Schätze, die der Mensch aus der Meerestiefe hervorgeholt. - Stolze
Palmen, Bananen, schattige Bosketts aus Lorbeer, Zypressen, Orangen.
Glänzende Blumen des Südens, zwischen denen ganze Scharen
Kanarienvögel und schimmernde Kolibris sich tummeln. Ich ruhte ein paar
Augenblicke auf einer der Moosbänke, dem Plätschern der Springbrunnen
und den weichen Klängen der Musik lauschend, die aus dem Dunkel des
Buschwerks ertönte, ohne dass man die Urheber derselben sah. Aber bald
erhob ich mich wieder und trat in die großen, hochgewölbten Hallen
des Bazars. Ein Laden neben dem andern! Und welche Überraschung. In der
Mitte des Bazars erhob sich ein Riesentannenbaum, weihnachtlich
geschmückt, der, wie mir einer der umstehenden Diener erklärte, am
Abend für die vielen Deutschen die sich dann hier einfinden,
angezündet werden sollte. Ein deutscher Weihnachtsbaum in fremden Lande!
Sollte ich bis zum Abend im Palast bleiben und mich den Heimatlosen zugesellen?
War ich doch einsam und heimatlos wie nur einer! Meine guten Eltern ruhten
längst auf dem Friedhof; eure Mutter, meine einzige Schwester, war als
Erzieherin in einem Pfarrhause - nähere Verwandte hatte ich nicht, die
wenigen Freunde schienen mich vergessen zu haben!
Ich wollte die Frage noch nicht entscheiden. Vielleicht wär's besser, ich
bliebe daheim in meinem Stübchen! So sinnend schritt ich weiter in andere
Räume, in die sich niemand der Schaulustigen verirrt hatte. Meine Gedanken
stiegen bis an den Thron des Königs aller Könige, des Herrn aller
Herren und flehte um Frieden, um Liebe, um volles Genüge, um
Weihnachtssegen. Aber wundert euch nicht, Kinder, wenn ich erzähle, dass
eure alte Tante dabei bitterlich geweint hat! Ich war ja dazumal noch ein
armes, junges Ding, und schon so einsam und verlassen im Leben zu stehen,
wollte mir gar nicht behagen! Wenn ich auch die Gnadennähe meines Herrn
spürte, so ist doch mein Herz gleich dem anderer Menschenkinder verzagt
und trotzig von Jugend auf. Aber wohl dem, der zum Herrn geht mit seinem
Schmerz, welcher Art er auch sein mag, und bei ihm Hilfe sucht! Er erhört
unsere Bitten, schon ehe wir es aussprechen! wie es Jes.65, 24 heiß:
"Und soll geschehen, ehe sie rufen, will ich hören." Seine liebe
Hand trocknet nur gerne die Tränen seiner Menschenkinder und schenkt
ihnen, wonach ihr Herz sich sehnt
"Wusste ich doch wo ich meine kleine Freundin zu suche habe! Gott zum
Gruß!" ertönte in meiner nächsten Nähe die herzliche,
kräftige Stimme des Herrn Pfeiffer - und neben ihm stand sein Sohn, und
auch aus seinem männlichen ernsten, aber freundlichen Antlitz leuchtete
mir ein warmes Willkommen entgegen. Der Vater berichtete, dass sie mich schon
in meiner Wohnung gesucht hätten, um mich für die ganze Dauer der
Weihnachtsferien zu sich zu holen. Seine Frau habe früher schreiben
wollen, es aber im Drang der Festvorbereitungen versäumt. Wir müssten
nun allerdings erst im Pensionat einkehren, meine Sache holen und der
Haushälterin von meinem Fortgehen Mitteilung machen. "Und nun",
fuhr er fort, "erwartet mich hier, ich habe im Lesezimmer noch mit einem
Freunde zu sprechen, bin aber bald wieder bei euch."
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Dora Schlatter 1855 - 1915
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